Es gibt bisher wenig wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema "Glück in der Bibel". Hat das Christentum keine gute Tradition mit Glück?
Daniel Maier: Ganz im Gegenteil. Wir hatten sehr früh sehr viel Auseinandersetzung damit. In der hebräischen Bibel, also im Alten Testament, wird das Thema immer wieder behandelt. Im Neuen Testament kommt es auch ganz klar vor. Bei den frühesten Christen ist Glück ein großes Thema. Und wir haben große Abhandlungen, unter anderem vom Kirchenvater Augustinus, der darüber nachdachte, wie sich irdisches Glück zum Glück im Leben danach verhält. Thomas von Aquin im Mittelalter schreibt ebenfalls darüber.
Warum gibt es dann heute so wenig Beschäftigung damit?
Maier: Ich denke, die Forschung tut sich heute schwer mit dem Thema, weil es irgendwann zu sehr Lifestyle-mäßig wurde - denken Sie an die ganzen Ratgeber, "Was ist Glück?". Selbst die psychologische Forschung tut sich schwer damit, Glück genau zu beschreiben. Und dann wird es gerade Theologinnen und Theologen alles ein bisschen zu bunt, weil man nicht groß was versprechen will. Daher haben sich lange nur vereinzelt Fachleute in der modernen Forschung daran gewagt.
Von welcher Art Glück ist in der Bibel die Rede? Von der langanhaltenden Form - also Zufriedenheit - oder der flüchtigen, rauschhaften Freude?
Maier: Das ist das Schöne am biblischen Glück: Die Geschichten beschreiben eben auch dieses momentane Glück, also das ekstatische Glück. Wenn David die Bundeslade nach Jerusalem bringt, dann tanzt er vor dieser Bundeslade - vor Freude. Wir haben aber auch viele Beschreibungen, bei denen es um das Lebensglück geht, also ein erfülltes Glück.
"Für Paulus ist Glück die Verkündigung vom Reich Gottes"
In der Wissenschaft nennt man dies das eudämonistische Glück, während das andere, die momentane Freude, das hedonistische Glück ist. Das langfristige Glück finden wir zum Beispiel, wenn Jesus im Johannesevangelium seinen Jüngern sagt: Bleibt bei mir, bleibt in meiner Liebe, bleibt in der christlichen Gemeinschaft, dann werdet ihr vollkommene Freude haben. Also eben nicht eine momentane Freude, sondern eine durch Gott, durch Christus induzierte dauerhafte Freude. Das Glück, mit Gott verbunden zu sein.
Die Bibel liefert uns also nicht den einen Glücksbegriff?
Maier: Nein, für jeden biblischen Autor ist Glück etwas anderes. Schauen wir uns Paulus an. Hier haben wir einen Macher. Vielleicht sogar einen Getriebenen. Für Paulus ist Glück die Verkündigung vom Reich Gottes, also dass Jesus in die Welt gekommen ist, was Jesus für diese Welt bedeutet und auf was wir hoffen dürfen. Für Paulus ist die Verbreitung dieses Wissens, dieses Bauen auf Christus, der zentrale Punkt seines Glücks. Diese Hoffnung, diese Verbundenheit mit dem Göttlichen.
Ist das nicht im gesamten Neuen Testament so?
Maier: Nicht in der gleichen Intensität. Nehmen wir etwa den Evangelisten Lukas. Bei ihm ist es eher der Rückblick in die Geschichte. Das Lukasevangelium fängt an mit dem Engel, der auf dem Felde den Hirten eine große Freude verkündigt, die allem Volk widerfahren wird. Das ganze Evangelium geht darum, welche Freude Jesus in die Welt bringt. Es ist Jesus, der hinausgeht zu den Menschen und sie wieder einfängt, wieder zu Gott zurückbringt. Für Lukas ist dieser Rückblick ganz wichtig und diese Freude, die das den Menschen gebracht hat.
"In der Gemeinschaft ist vollkommenes Glück möglich"
Oder nehmen wir Johannes: Im Johannesevangelium ist es ganz klar so, dass durch die christliche Gemeinschaft, die jetzt in dieser Welt ist, eine neue Qualität der Freude möglich ist. Vollkommene Freude wird das im griechischen Text genannt. Im Judentum zurzeit Jesu beschäftigte man sich mit der Frage: Kann es auf dieser Welt überhaupt etwas Vollkommenes gegeben? Und manche Rabbiner haben gesagt: Nein, kann es nicht. Deswegen gibt es kein vollkommenes Glück. Johannes sagt jedoch: Jetzt mit Christus, mit dieser Gemeinschaft sowohl mit Gott als auch mit Menschen, ist vollkommenes Glück möglich.
Welche Beziehungen hat Jesus selbst zum Thema Glück?
Maier: Im achten Kapitel des Matthäusevangelium heißt es: Der Menschensohn hat keinen Ort, wo er seinen Kopf hinbettet. Sein Glück ist - so dürfen wir mutmaßen - dieses Leben auf Wanderschaft, mit den Jüngern unterwegs Gutes zu tun, einen göttlichen Auftrag zu haben, ganz im Vertrauen auf Gott zu leben. In der Bergpredigt heißt es: Schaut die Vögel an, sie sammeln nichts in den Scheunen, sie ernten nicht. Und trotzdem kümmert sich der himmlische Vater um sie. Schaut euch das Gras auf der Wiese an, es sieht schöner aus als Salomon in all seiner Pracht. Ein Leben im Vertrauen auf Gott, ein sorgloses Leben in der Gemeinschaft. Ein minimalistisches einfaches Leben - das kann durchaus glücklich machen.
Ein materialistischer Glücksbegriff ist Jesus also fremd?
Maier: Das gilt eigentlich für das ganze frühe Christentum. Wir haben hier durch und durch eine Ablehnung eines Zusammenhangs zwischen Glück und materiellem Wohlstand. Das ist im antiken Judentum, aus dem das Christentum als Sekte hervorging, nicht so. Da gibt es unterschiedliche Auffassungen, aber einige Autoren sagen schon: Ein glückliches Leben ist ein Leben in einem großen Haus, in einem sicheren Haus, wo ich weiß, dass wir nicht alle paar Wochen überfallen werden. Also die Einstellung, dass zum Glück auch eine gewisse materielle Sicherheit gehört.
Beispielsweise König David war ja auch kein Kostverächter.
Maier: Korrekt! Eine solche Freude an den kleinen Dingen des Lebens haben wir dann beispielsweise im Buch Kohelet, das dem Sohn von David, Salomon, zugeschrieben wird. Da ist die Anleitung zum Glück folgende: Salomon versucht es zunächst durch Weisheit, liest ganz viele Bücher, studiert fleißig und denkt, als Gelehrter findet er das Glück. Jedoch muss er feststellen: das ist es nicht.
"Durch seine Erfahrungen erkennt Salomon, was zum Glück führt"
Dann probiert er es mit Sex, Drugs and Rock'n'Roll, also viele Frauen, viel Wein und jede Woche ein anderer Exzess. Aber auch dieses Leben hat Salomon nicht glücklich gemacht. Als letztes versucht er es als reicher Herrscher über ein großes Land, über Israel. Auch diese Macht hat ihn nicht glücklich gemacht. Aber durch all diese Erfahrungen erkennt er, was zum Glück führt. Es ist das Zusammensein mit guten Freunden und der bewusste Genuss von Lebensmitteln und Wein.
Das ist ja durchaus schon wieder zeitgemäß. Im Grunde finden sich also gleich mehrere Ratgeber für den Weg zum Glück in der Bibel?
Maier: Genau. Weil wir Menschen ja auch unterschiedlich beschaffen sind und verschiedene Lebensphasen durchleben kann es auch gar nicht das eine Glückskonzept geben, das für alle passt. Vor ein paar Jahren fand ich es noch Glück stiftend, mit einem rostigen Geländewagen irgendwo in Lateinamerika unterwegs zu sein. Momentan, als junger Familienvater, ist das eine schreckliche Vorstellung für mich. Und so, wie die Menschen unterschiedlich sind, wie wir in verschiedenen Lebensphasen unterschiedlich sind, so finden wir in der Bibel auch verschiedene Anleitungen zum Glück, die sich nicht widersprechen, aber andere Schwerpunkte setzen.
Kann man daraus schließen, dass Gott will, dass wir in dieser Welt glücklich sind?
Maier: Ich glaube, das an unseren Heiligen Schriften zeigen zu können. Gott will, dass ich glücklich bin. Die Bibel sagt nirgendwo: Nein, Gott will, dass du miserabel lebst, damit dann irgendwann ein himmlisches Paradies auf dich wartet. Gott hat mich so geschaffen, dass ich sowohl Trauer empfinden darf als auch Glück. Und meines Erachtens finden wir in der Bibel verschiedene Wege, verschiedene Vorbilder, die zu ebenjenem Glück führen.