Ein Bündnis aus Umwelt- und Sozialverbänden ist am Samstag in sechs deutschen Städten für eine soziale und ökologisch nachhaltige Politik auf die Straße gegangen. Unter dem Motto "Solidarischer Herbst" demonstrierten in Berlin, Dresden, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hannover und Stuttgart nach Angaben des Bündnisses rund 24.000 Menschen. In Berlin seien demnach rund 6000, in Düsseldorf und Frankfurt am Main 5000, in Stuttgart 4000 Menschen auf die Straße gegangen.
Schätzungen der Polizei lagen jedoch teils deutlich darunter. Laut Polizei nahmen in Berlin rund 1800 Menschen am Demonstrationszug zum Brandenburger Tor teil. Rund 1500 Menschen folgten nach Polizeiangaben in Hannover dem Aufruf. In Düsseldorf zählte die Polizei rund 2300 Teilnehmer, in Frankfurt am Main 2700.
In der Bundeshauptstadt beteiligten sich unter anderem der Vorsitzende des Bunds für Umwelt und Naturschutz (BUND), Olaf Bandt, und der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Ulrich Schneider, an dem Protest für eine soziale und ökologische Wende. Sie forderten Solidarität mit der Ukraine und Entlastungen für Menschen, die am stärksten unter der Energiekrise leiden.
Schneider forderte eine "180-Grad-Wende" in der Steuer- und Finanzpolitik. Deutschland befinde sich inmitten der größten Krise, die die Bundesrepublik je erlebt habe, sagte er mit Hinweis auf die Folgen des Ukraine-Kriegs und des Klimawandels. Die gleichzeitigen Krisen könnten durch ein solidarisches Vorgehen bewältigt werden. "Diese Solidarität lässt die Bundesregierung in ihren Entlastungsprogrammen vermissen", sagte er.
Gewinne abschöpfen, Vermögen besteuern
Die stellvertretende Bundesvorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Andrea Kocsis, forderte in Düsseldorf, das von der Bundesregierung beschlossene Entlastungspaket in Höhe von 200 Milliarden Euro müsse nachgebessert werden. Das Entlastungspaket müsse "anders ausgerichtet" werden und sich stärker auf jene konzentrieren, die darauf auch tatsächlich angewiesen seien.
Bei den Demonstrationen wurde unter anderem auch eine Abschöpfung von Übergewinnen, eine Besteuerung großer Vermögen und die Abschaffung der Schuldenbremse gefordert. Die Regierung dürfe Soziales und Ökologisches nicht gegeneinander ausspielen, betonte das Bündnis, dem unter anderem der Umweltverband BUND, die Kampagnen-Plattform "Campact" und der Paritätische Wohlfahrtsverband angehören.Bei den Maßnahmen gegen die Energiekrise würden langfristige Klimakrisen nicht ausreichend beachtet.
Soziale Angebote bedroht
Die niedersächsische Landesvorsitzende des BUND, Susanne Gerstner, rief dazu auf, gerade in Krisenzeiten solidarisch zusammenzustehen. "Der Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen und soziale Gerechtigkeit gehören zusammen und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden", sagte sie. Einfache Lösungen wie der Wiedereinstieg in die Atomkraft oder die Fortsetzung der Energiegewinnung aus Kohle und Gas seien nur Scheinlösungen.
Die Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Niedersachsen, Kerstin Tack, beklagte, dass die sozialen Angebote der Wohlfahrtsverbände durch die hohen Energiekosten bereits jetzt massiv bedroht seien. Die Politik müsse verhindern, dass Einrichtungen und Dienste geschlossen werden müssten. "Wir brauchen Finanzhilfen für die soziale Infrastruktur. Jetzt und nicht irgendwann im nächsten Frühjahr, wenn der Ofen längst aus ist."
Der Bielefelder Konfliktforscher Andreas Zick warnte angesichts steigender Energiepreise und des Kriegs in der Ukraine vor Radikalisierungen in Deutschland. In Krisenzeiten mit damit verbundenen Folgen von Inflation und Energieknappheit müssten Regierungen regulieren und eingreifen, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Es entstehen neue Ungewissheiten, die angesichts eines Gefühls, dass vieles außer Kontrolle gerät, als Bedrohungen wahrgenommen werden." Daran würden rechte und nationalistisch orientierte Gruppen anknüpfen.