Am 8. November gehen US-Amerikaner in die Wahlkabinen. Die 435 Mitglieder des Repräsentantenhauses, 35 der 100 Senatoren sowie zahlreiche Gouverneure der Bundesstaaten werden gewählt. Inflation, Parteiloyalität und der Zustand der Demokratie beschäftigen die Wählerinnen und Wähler. Eine unerwartet große Rolle spielt Abtreibung. Die Demokratische Partei von US-Präsident Joe Biden will davon profitieren.
Es geht um viel: Bidens politische Vorhaben hätten wenig Chancen, sollten die Demokraten im Kongress in die Minderheit geraten. Im Repräsentantenhaus mit gegenwärtig 220 Demokraten und 212 Republikanern (drei Sitze sind vakant) müssen die Republikaner nur eine Handvoll demokratische Sitze erobern, um die Mehrheit zu stellen. Im Senat mit seinem 50-zu-50-Unentschieden genügt ein Sitz.
Dass Demokraten mit Abtreibung Wahlkampf machen, ist neu: Eigentlich gehört Schwangerschaftsabbruch zum Kulturkampf, mit dem die Republikaner die konservative und weiße evangelikale Basis zusammenhalten. Doch ein historisches Urteil des Obersten US-Gerichts im Juni, das das Recht auf Abtreibung annullierte, motiviert demokratische Wählerinnen und Wähler.
Der Richterspruch befugt jeden der 50 Bundesstaaten, Abtreibungsvorschriften zu erlassen, auch nahezu komplette Verbote wie in den republikanisch regierten Staaten Texas, Missouri und Oklahoma. Nach Angaben des Familienplanungsinstituts "Guttmacher Institute" gelten nun in 14 Staaten "sehr oder besonders restriktive" Gesetze. In zwölf Staaten seien die Gesetze "restriktiv".
TV-Spots für das Recht auf Abtreibung
Bei einer Erhebung des gesundheitspolitischen Instituts Kaiser Family Foundation gab die Hälfte der Befragten an, das Urteil motiviere sie zur Stimmabgabe. Drei Viertel der vom Urteil Bewegten wollten für Kandidaten stimmen, die für legale Abtreibung eintreten, hieß es in der am Mittwoch vorgestellten Umfrage. 1.534 Personen wurden befragt.
Demokratische Kandidaten reagieren auf die veränderten Umstände. Ein Drittel des Gelds ihrer Fernsehwahlwerbung finanziere Spots für das Recht auf Abtreibung, berichtete der Rundfunksender NPR. Das Abtreibungsthema treffe "Menschen ganz persönlich", begründete die demokratische Wahlstrategin Vriti Jain. Anfang 2022, vor dem Urteil des Obersten Gerichts, hätten Demokraten keine Wahlwerbung zur Abtreibung geschaltet. Mehrere Republikaner haben sich vorsichtig von ihrer Anti-Abtreibungshaltung distanziert, oder sie "vermeiden das Thema, das seit langem ein Kernteil des amerikanischen Konservatismus ist", schrieb die "New York Times".
Besonderer Fokus auf Georgia
In kaum einem Staat ist Abtreibung so prominent wie in Georgia. Eigentlich ist der Staat im Süden republikanisches Territorium, doch Biden hat in Georgia 2020 knapp gewonnen. Es kandidiert zur Wiederwahl im Senat der schwarze Baptistenpastor Raphael Warnock. Er steht für Bürgerrechte, soziale Programme und eben das Recht auf Abtreibung.
Republikanischer Herausforderer ist der frühere Football-Star Herschel Walker, der für "konservative Familienwerte" antritt und gegen das Recht auf Abtreibung. Im Endspurt machten Walker Medienberichte Probleme über drei seiner Kinder, die mit ihren Müttern und nicht mit Walker lebten. Anfang Oktober gab es Anschuldigungen, Walker habe einer früheren Freundin Geld für eine Abtreibung gegeben. Walker bestritt das, er mache häufig Geldgeschenke. Bei einem Scheidungsverfahren wurde Walker häusliche Gewalt vorgeworfen.
Viele Abtreibungsgegner sehen keinen Kompromiss. Bart Barber, Präsident des Südlichen Baptistenverbandes, der größten protestantischen Kirche der USA, hat das vor wenigen Tagen im CBS-Fernsehen deutlich gemacht. Er habe 2020 für den Republikaner Donald Trump gestimmt mit Blick auf dessen Einstellung gegen Abtreibung. Bei Abtreibung gehe es "um eine menschliche Person, die das Recht auf Leben hat", sagte Barber. Der CBS-Moderator sprach Barber auf eine kürzliche Kontroverse an über eine von einer Vergewaltigung schwangere Zehnjährige. Ob er das Kind zwingen würde, die Schwangerschaft auszutragen? Das sei entsetzlich, erwiderte Barber, doch besser, "als jemanden anderen zu töten".
Prognosen für den 8. November deuten auf einen knappen Ausgang hin. In vier Bundesstaaten sollen sich die Wähler direkt zur Abtreibung äußern. Bei Volksentscheiden in Kalifornien, Michigan und Vermont geht es um Verfassungszusätze zum Schutz des Rechts auf Abtreibung. Kentucky stimmt über eine Vorlage ab, nach der die Verfassung kein Recht auf Abtreibung vorsehen soll.