"Nach einem Besuch im Dannenröder Forst habe ich mich alleine auf den Heimweg gemacht", erzählt Hinz. "Am Bahnhof geriet ich in eine Gruppe junger Aktivisten, die mich aufgrund meiner Einsatzjacke für einen Polizisten hielten und umzingelten. Das war ein mulmiges Gefühl."
Hinz tat in der Situation das, was er gut kann: Er hat mit den Demonstranten geredet. "Ich habe mit ihnen die Hintergründe eines solchen Polizeieinsatzes erörtert und geschildert, wie viel Kraft so was die Polizistinnen und Polizisten kostet." Grundsätzlich, sagt Hinz, hätten die Demonstranten seine Sympathie. "Aber gleichzeitig ist die Polizei nicht, wie einige von ihnen behaupteten, 'selbst schuld' an ihrem Einsatz. Die Polizeikräfte setzen geltendes Recht um, auch wenn sie teilweise persönlich gegen die Rodung sind."
Die Polizeijacke, die neben der Tür von Hinz‘ Büro in Frankfurt hängt, trägt er deswegen nicht gern. "Die Jacke ist heikel", sagt er. "Wenn ich sie trage, dann müssen die Polizeikräfte quasi zusätzlich meine Sicherheit gewährleisten." Auf Demonstrationen ist der Polizeipfarrer deswegen meist in zivil und mit dem Fahrrad unterwegs. Vor Ort möchte er sich einen Eindruck verschaffen, welchen Situationen und Belastungen die Polizeikräfte ausgesetzt sind.
Hinz, 1956 in Greifswald geboren, ist in Gießen aufgewachsen. Nach seinem Theologiestudium war er zehn Jahre lang Pfarrer in Offenbach, 1995 ging er zur Polizeiseelsorge. Damals war er der einzige Polizeipfarrer in der Landeskirche. Heute sind dafür zweieinhalb Stellen vorgesehen.
Psychische Gesundheit ist wichtiger geworden
"Als ich anfing, war ich den alten Haudegen suspekt. Die dachten damals, ich wolle aus ihnen Weicheier machen", erinnert sich Hinz. Heute sei das auch aufgrund einer Reform der Polizeiausbildung anders. Die Ansprüche an die Ausbildung seien gestiegen, angehende Polizistinnen und Polizisten studieren drei Jahre lang an der Fachhochschule der Polizei. Für psychische Gesundheit etwa und die Auseinandersetzung mit eigenen Schwächen gebe es in der Polizei heute ein stärkeres Bewusstsein, hat der Pfarrer beobachtet.
Wolfgang Hinz war für 6.000 Polizistinnen und Polizisten in und um Frankfurt zuständig und begleitete sie seelsorglich. "Einmal rief mich eine Mordermittlerin an, die mir von einer Reihe an Leichenfunden berichtet hat, die sie noch nach Jahren detailliert vor Augen hatte. Diese Erlebnisse konnte sie nicht vergessen", erzählt er.
Klare Kante gegen rechtsradikale Tendenzen
Hinz erteilte außerdem berufsethischen Unterricht an den Polizeischulen. Der Umgang mit Autorität und der Einsatz von Schusswaffen, interkulturelle Kompetenz oder das Überbringen von Todesbotschaften sind dort Thema. Auch Supervision für Dienstgruppen bot er an und feierte Gottesdienste, wenn Polizistinnen und Polizisten vereidigt werden.
Die Polizei müsse glaubhaft für den Rechtsstaat und das Rechtssystem einstehen, betont Hinz. Vorfälle wie die aufgeflogenen Chats mit rechtsradikalem Inhalt in der Frankfurter Polizei sieht er kritisch. "Ich ermutige Polizistinnen und Polizisten, solche Tendenzen, wo sie ihnen innerhalb der Polizei begegnen, nicht zu ignorieren, sondern klare Kante zu zeigen", sagt er.
"Die Polizei leistet einen verantwortungsvollen und manchmal für sie gefährlichen Beitrag für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft", erklärt der Pfarrer. "Und die Beamtinnen und Beamten greifen in Bürgerrechte ein. Deswegen müssen sie ethisch fitter, rechtskundiger und -treuer sein als andere. Aufgabe der Polizeiseelsorge ist es, sie darin zu bestärken", betont Hinz.
"Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen" (Matthäus 5,9) - dieses Jesuswort war für Hinz die Grundlage seiner Tätigkeit. Gerne denkt er an das Vertrauen und die Offenheit der sonst eher skeptischen Beamten ihm gegenüber zurück. "Diese Kombination war oft der Schlüssel für alles weitere", sagt der Polizeipfarrer dankbar.