Matthew von Fintel will den ganz großen Wurf. Der 18-Jährige aus Wilhelmshaven spielt mit Begeisterung Frisbee, er hat sogar gerade an den deutschen Meisterschaften teilgenommen. Aber viel mehr noch als das Sportgerät bewegt den Schüler der Klimaschutz. Da kann der Sohn einer Pastorin und eines Lehrers richtig wütend werden. "Bei uns in Wilhelmshaven sind die Radwege schrecklich, Autos haben immer Vorrang", sagt er. "Da wird überhaupt nicht genug für das Klima getan."
Eine Teilnahme am jüngsten bundesweiten Klimastreik, zu dem das Bündnis "Fridays for Future" zuletzt wieder aufrief, stand bei Matthew auch im Kalender. Der Abiturient hat den ersten Streik in Wilhelmshaven 2019 mit organisiert. Und er sieht gerade die Kirchen in der Pflicht: "Als großer Arbeitgeber, mit vielen Gebäuden und finanziellen Möglichkeiten, müssen sie nachhaltig handeln - egal ob es um Heizungen geht oder um Geldanlagen." Gleichzeitig, findet von Fintel, sollten Pastor:innen die Botschaft vom Klimaschutz auch in den Gemeinden verbreiten: "Die Bewahrung der Schöpfung muss doch Teil der christlichen Kernbotschaft sein!"
Dass gerade jetzt - angesichts von Ukraine-Krieg und Energiepreiskrise - junge Menschen für radikalen Klimaschutz demonstrieren, passt für Hannovers Landesbischof Ralf Meister durchaus zusammen: "Viele junge Menschen halten beharrlich an ihrer beständigen Forderung nach einem Systemwandel fest. Wir müssen ihnen folgen", sagt der evangelische Bischof. Schließlich habe die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen maßgeblich in diese Krisensituation geführt. Klima-Demos seien "der Protest, der sich diesen globalen Blick bewahrt hat und die enge Verwobenheit der Krisenfaktoren benennt".
Der Journalist Franz Alt würde noch weiter gehen - er will mehr konkrete Taten von den Kirchen sehen. "Sie könnten überall Solaranlagen installieren, gewissermaßen Energie von ganz oben, aus dem Himmel", sagte Alt kürzlich dem epd. "Kirchen haben immer noch eine Vorbildfunktion, die sollten sie besser ausfüllen." Ein Ansatzpunkt könnte die energetische Modernisierung von abertausenden kirchlichen Gebäuden sein.
Erschreckend hohe Verbrauchswerte bei Gas
Wie solche Maßnahmen in der Landeskirche Braunschweig aussehen könnten, ermittelt Jan Christoph Freye seit einigen Monaten. Der Klimaschutzmanager lässt für ein Gesamtkonzept, das auch Mobilität und Beschaffung umfasst, aktuell die Bilanz von Energieverbrauch und Treibhausgas-Emissionen in den 299 Gemeinden der Landeskirche berechnen. "Es zeichnet sich schon ab, dass Wärmegewinnung aus Gas etwa 75 Prozent der Emissionen im Gebäudebereich ausmacht", sagt Freye. In einigen Kirchengemeinden seien erschreckend hohe Verbrauchswerte festgestellt worden. In den letzten Wochen kämen aber immer mehr konkrete Anfragen, wie der Umstieg etwa auf klimafreundlichere Wärmepumpen und Photovoltaik-Anlagen organisiert werden könnte.
Auch die anderen Kirchen in Niedersachsen arbeiten an der Frage, wie sich angesichts großer, zumeist älterer und in vielen Fällen nur bedingt sanierbarer Gebäudebestände Heizkosten und Emissionen reduzieren lassen. Werner Lemke etwa, der Baudirektor der hannoverschen Landeskirche, ist für rund 8.000 Gebäude in 1.230 Kirchengemeinden zuständig. Mit Blick auf das enorme Raumvolumen gerade von Kirchen rät der Diplom-Ingenieur etwa zu einer Beheizung der Bänke, anstatt die Raumtemperatur insgesamt hochzufahren. Auch beheizte Sitzkissen, eine Fußbodenheizung direkt unter den Bänken oder die Verlegung winterlicher Gottesdienste ins Gemeindehaus sieht Lemke als wirksame Möglichkeiten, den Energieverbrauch zu drosseln.
Dass Klimaschutz nicht nur eine Frage oft kostspieliger baulicher Maßnahmen ist, sondern vor allem Summe vieler kleiner alltäglicher Entscheidungen, betont Michaela Grön. Die studierte Kulturwissenschaftlerin leitet im Kirchenkreis Hildesheim das Projekt "Lernen, eine Welt zu sein". Es begleitet Kitas, Kirchengemeinden und andere kirchliche Akteure dabei, nachhaltiger zu wirtschaften. Gemeinden kaufen nun Lastenräder, das Essen bei der Kirchenkreissynode ist inzwischen vegetarisch. Kita-Gruppen bepflanzen Hochbeete und ernten Kräuter und Gemüse. "Das sind kleine und hilfreiche Beiträge zur Bewahrung der Schöpfung", freut sich Grön. "Aber es dürften noch viel mehr sein."
Insgesamt habe Kirche gute Konzepte, aber es hapere oft an der Umsetzung. "Wir müssen den Graben zwischen Wissen und Handeln langsam überwinden", sagt die Projektleiterin. Wichtig sei aber auch, den Blick über den Kirchturm hinaus zu wagen: "Es ist gut, sich mit anderen zu vernetzen. Wir haben in Hildesheim inzwischen ein Netzwerk mit rund 50 regionalen Akteuren aufgebaut."
Wenn sich alle einig sind, wird Matthew von Fintel schon wieder skeptisch: "Ich finde es wichtig und gut, dass die Klimabewegung mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist." Aber die Politik und auch die Kirchen täten noch nicht genug, sagt der 18-Jährige. "Ich lese doch Nachrichten und kriege mit, was schiefläuft. Es kommt jetzt vielleicht etwas voran. Aber es müssen auch echt noch viele Sachen anders werden."