Die Idee zu dem ungewöhnlichen Projekt hatte Christoph Busch. Der Autor war auf der Suche nach einem Schreibbüro, als er das Schild "zu vermieten" an dem kleinen Kiosk in der U-Bahnhaltestelle entdeckte. Um nebenbei auch "Stoff zu sammeln" hat er ein Plakat aufgehängt: "Ich höre zu". "Dann sind die Leute gekommen, weil sie ganz begeistert waren und ich bin nicht mehr zum Schreiben gekommen, sondern habe nur noch zugehört", erzählt Busch.
Die Kunden des Zuhörkiosks seien ganz unterschiedlich, sagt dessen Gründer. "Das geht los mit 16, wenn die Abiturfragen kommen", aber es kämen auch 90-Jährige, die ihre Lebensgeschichte erzählen. Die Begegnungen seien immer etwas Besonderes, denn er kenne die Menschen nicht. "Wir wissen nichts, es ist jedes Mal eine Überraschung." Und auch wenn es oft tragische Geschichten sind, die die Menschen erzählten, so gebe es auch viele gute Geschichten. "Es gibt Leute, die winken aus dem Zug oder klopfen und sagen 'Toll, dass ihr das macht'", sagt Busch.
Schon ein halbes Jahr nach der Eröffnung des Zuhörkiosks war Busch klar, dass das Bedürfnis der Menschen zu reden groß ist. Bei ihnen im Kiosk sei das einerseits leicht, weil es anonym ist, und andererseits, "weil die Leute uns nicht wiedersehen müssen", glaubt Busch. Und auch er selbst war begeistert vom Eintauchen in das Leben fremder Menschen. Doch für einen allein wurde es zu viel, weshalb es seit Mitte 2019 eine Gruppe von ehrenamtlichen Zuhörenden gibt: "Die Ohren".
Eine Gruppe ehrenamtlicher Zuhörer leiht ihre Ohren
Seit 2019 gehört Britta Hake dazu. Auch für sie sind die Begegnungen immer etwas Besonderes, "wichtig ist einfach nur Raum zu geben". Gespräche mit neuen Kunden beginnt sie deswegen immer mit der Frage: "Wie geht es dir?", denn es gehe um das, was die Menschen gerade bewegt.
Auch bei ihr seien schon 16-Jährige mit Liebeskummer gewesen, sie hat mit Kunden über den Umgang mit dem Chef gesprochen und sich Geschichten von Menschen erzählen lassen, die bereits ein langes Leben gelebt haben. Am häufigsten spreche sie allerdings über Geschichten aus der Kindheit. Dabei falle ihr immer wieder auf, "dass das große Auswirkungen auf die heutige Zeit hat", so Hake.
In sehr schwierigen Fällen vermitteln "die Ohren" auch weiter. Es gebe eine Liste mit Kontakten, so Hake. Sie selbst habe einmal den Kältebus gerufen, als eine wohnungslose Frau Rat suchte, "weil sie nicht wusste, wie sie zum Winternotprogramm kommt". Das sei der praktische Teil, die Hilfe für Menschen in Not, so Hake.
Ob es bald einen Zuhörkiosk in Schleswig-Holstein geben wird, darüber tauscht Christoph Busch sich gerade mit Monika Backof aus. Ein Gespräch in der Bahn habe sie auf die Idee gebracht. Eine junge Frau hatte ihrem offenbar fremden Sitznachbarn aufgeregt von ihren Problemen erzählt, "als der Mann ausgestiegen war, nahm sie das Handy und erzählte ganz ruhig: 'Stell dir mal vor, der hat mir einfach zugehört'", erinnert sich Backof.
Menschlichkeit spürbar zu machen, sei ihre Motivation. Sie selbst erlebe es, dass sie im Erzählen schon oft eine Lösung für ihre Probleme finde, das gehe aber nur, wenn jemand zuhört. Diese Möglichkeit möchte sie anderen geben, "damit sie vielleicht nach dem Gespräch ein bisschen Land sehen", so Backof.
Dass Menschen nicht mehr so einfach jemanden finden, der nur zuhört, darin sind sich Britta Hake und Christoph Busch einig. Häufig gehe es bei den Gesprächen im Zuhörkiosk nämlich nicht um Beratung oder Lösungsvorschläge, sondern vielmehr um die Möglichkeit, die eigene Geschichte zu erzählen. Oft gehe es den Menschen besser, "weil sie Worte für das finden müssen, was ihnen im Kopf rumspukt", so Busch. Zuhören sei für ihn ebenso grundlegend wie Essen und Trinken, "wichtig ist aber auch, dass die Menschen sich trauen, etwas zu sagen".