Mitglieder der Jungen Kirche Gießen stehen mit Utensilien zum Streichen in einer Kirche
© Laura Schäfer/Junge Kirche Gießen
Mitglieder der Jungen Kirche Gießen streichen auch schon mal die Wände im Gotteshaus. Das stiftet eine ganz neue Gemeinschaft.
Käffchen, Poetry Slam, Gottesdienst
Glauben ausprobieren in Jungen Kirchen
Junge Kirchen gibt es in Deutschland überall und: Es werden immer mehr - ob in Bottrop, Aachen, Leipzig, Nürnberg, Karlsruhe, Gießen oder anderen Orten. Welche Konzepte stehen dahinter? Sind das neue Ideen für die Kirche in Deutschland oder nur Altbekanntes in einem neuen Gewand? Die Social Media Autorin Leonie Mihm von evangelisch.de hat sich einmal umgehört.

Offenbar gibt es kein einheitliches Konzept für junge evangelische Kirchen. Jede entwickelt sich selbstständig und hält sich dabei an keine festen Regelungen. Dabei geht es vor allem darum, Kirche und das Leben junger Menschen zusammen zu bringen und sich gegenüber den Ideen junger Leute offen zu zeigen. 

Carla zum Beispiel hat in der Jugendkirche (JuKi) Aachen bis März 2022 ihr Freiwilliges Soziales Jahr absolviert. Sie sieht keine feste Vision in ihrer JuKi. "Das würde die komplette Partizipation ersticken", sagt sie. Vielleicht sei das für die Jugendlichen in zwei Jahren überhaupt nicht mehr interessant oder relevant. "Aber wir haben ein Motto: 'Kirche ist, was du draus machst'", unterstreicht sie.

Die Jugendkirche in Aachen steht direkt gegenüber von einer Schule und ist so schon räumlich nah an jungen Menschen dran. Früher wurde die Kirche für Schulgottesdienste genutzt, bis ein Lehrer die Idee hatte, eine Jugendkirche zu gestalten. Jetzt werden in dem Gebäude nicht nur Gottesdienste und Andachten gefeiert, sondern auch Veranstaltungen und soziale Aktivitäten ausgerichtet.

Das zeigt sich auch im Raumkonzept. Es gibt drei Bereiche: einen offenen Bereich, wo die jungen Menschen ihre Zeit frei verbringen können, den Bereich für Veranstaltungen wie Poetry Slams oder Workshops und den Bereich der Kirche, wo Glaube gestaltet und erlebt wird.

Carla beschreibt das so: "Es ist ein riesengroßer Pluspunkt, dass die JuKi so flexibel ist. Also zum einen durch den offenen Raum, aber auch wenn Leute sagen: 'Wir haben jetzt Bock für alle Pancakes zu machen!' Dann haben wir die Möglichkeit mit einer Küche und können sagen: 'Ja bitte, haut rein!'". Generell hat sie in ihrem FSJ die Kirche als Ort erlebt, wo ihre Bedürfnisse erfüllt werden. Carla erzählt davon, dass Besucher:innen dort Ruhe bekommen, wenn sie Ruhe suchen, Gesellschaft bekommen, wenn sie sie brauchen und sich ablenken können, wenn das ihr Wunsch ist.  

Leerstehende Kirche gemeinsam renoviert

Ganz ähnlich berichten Laura Schäfer und Alexander Klein. Laura ist Dekanatsjugendreferentin in der Jungen Kirche in Gießen, Alexander ist dort Stadtjugendpfarrer. Sie haben gemeinsam mit Jugendlichen im Herbst 2021 die leerstehende Kirche der Ludwigsgemeinde in Gießen renoviert. In den hellen Räumen stehen jetzt moderne, graue Drehsessel, Tischkicker und eine Bar mit Kaffeemaschine. Draußen im Hof und Garten finden sich Bänke und Feuerschale.

Der Stadtjugendpfarrer erzählt, wie die Jugendlichen sich schon bei der Renovierung mit dem Raum identifizieren konnten: "Die kleinen Buntglasfenster haben wir alle einzeln geputzt und da haben sie wirklich gemerkt: Die Kirche gehört jetzt uns." Ihr Konzept ist dabei: Ausprobieren und Mitgestalten.

Es geht um Menschen jenseits der 20 Jahre

Alexander sagt: "Wenn irgendwas nicht läuft, dann hören wir fröhlich damit auf und probieren wieder was anderes." Laura findet es wichtig, dass junge Menschen in ihren Ideen gestärkt werden. Wenn sie Lust auf etwas hätten, werden sie in ihrem Vorhaben unterstützt. Alexander erzählt auch, dass "Junge Kirche" erst nur ein Arbeitstitel für das Projekt gewesen sei, das zentral, nahe der Fußgängerzone in Gießen liegt. Aber sei es bei dem Namen geblieben: Junge Kirche. Die Leute sollten doch wissen, dass es um Kirche geht und um junge Formate. "Es war wichtig, dass das Projekt nicht Jugendkirche sondern 'Junge Kirche' heißt, denn es sollte auch um Menschen jenseits der 20 Jahre gehen."

Die JuKi stößt da in eine Lücke bei den traditionellen Kirchen. Laura erzählt, wie wichtig die Arbeit nach der Konfirmation sei und wie sehr diese Menschen nach Anschluss im kirchlichen Rahmen suchten. "Wir haben ganz viele, viele Leute, die das hier wirklich zu ihrem Zuhause gemacht haben." 

Nach der Konfirmation fehlen Angebote für junge Leute

Auch Ole der Jahrespraktikant in der JuKi Gießen teilt diese Erfahrungen: "Generell gibt es halt keine Angebote für uns in der Gemeinde. Außer du bist dann Konfi Mitarbeiter", sagt er. Aber das sei schon alles. "Oder du kannst halt sonntags in die Kirche gehen und dich in den Gottesdienst setzen und das wars. Keiner von meinen Freunden, würde sich jetzt einfach so freiwillig in eine Kirche setzen", fügt er hinzu. Inzwischen sei es "auch so komisch geworden", wenn junge Menschen in die Kirchen gingen. Nach dem Konfi lässt sich einfach keiner mehr blicken. Das sei schade, dass die Gemeinschaft dann so verloren geht. Als Kinder seien sie immer auf Kirchenfreizeit fahren.

Laura schildert, wie nah die Junge Kirche hier mit dem Alltag der Menschen verbunden ist. Wenn sie beispielsweise freitagabends Gottesdienst feiern, gehen einige danach noch zusammen in die Stadt, um noch etwas zu trinken. Einmal wurden sie gefragt, wo sie gerade herkommen würden, und sie antworteten: "Wir waren in der Kirche und haben eine Andacht gefeiert". Sie sagt, dass es wichtig sei, dass die Kirche dadurch für alle näher und greifbarer werde.

Geistliches Futter und Glauben ausprobieren

Die Menschen, die in die Junge Kirche kommen, sind manchmal schon in ihren Heimat-Kirchengemeinden engagiert, manche aber auch nicht. Manche kennen die Landeskirche. Andere fragen, was das für schwarze Zahlen vorne an der Wand sind, die Nummern aus dem Gesangsbuch. Für Alexander zählt vor allem, dass die Jugendlichen so sein dürfen, wie sie sind und sich mit Gaben und Fähigkeiten einbringen können. Außerdem spricht er davon, dass sie in der JuKi "geistlich gefüttert" werden und "ihren Glauben ausprobieren" dürfen. 

Vielleicht kann die Junge Kirche der Gesamtkirche noch ein paar funktionierende Ideen mitgeben. Vom Konzept einer Jungen Kirche könne die alte Kirche lernen - nämlich zu schauen, was die Leute wirklich in ihrem Alltag bräuchten und was nicht an ihrer Lebenswelt vorbei geht. Alexander berichtet von Eltern, die ihre Kinder zu den Gottesdiensten der Jungen Kirche bringen und scherzhaft fragen, ob sie noch bleiben dürfen. Er sagt: "Fragt die Leute, was sie brauchen. Was entspricht ihrer Lebenswirklichkeit und lasst sie mitmachen! Und gebt ihnen dann auch Verantwortung. - Kein: Bis dahin und dann übernehmen wir wieder die Kontrolle." Er schlägt er vor, dass Räume auch mutig umgestaltet werden dürfen. So sieht es auch Laura. Man solle mutig sein, auch mal etwas ausprobieren: "In den Kirchengemeinden sind nur noch wenige Menschen und man hat Angst, die zu verlieren, wenn man was anderes macht."

Laura wünscht sich ein Vorwärts-Gehen und -Denken. Dabei zu wissen, es sei  auch okay, wenn etwas scheitert. Und auch zu merken, wenn Aktionen einfach vorbei sind. Wer mit Menschen zusammenarbeitet, könne nicht 20 Jahre lang immer das Gleiche machen. Wer nachdenkt und die Leute fragt, was sie brauchen, der bekommt auch hilfreiche Antworten.