Frau Kirchenpräsidentin, Frau Bischöfin, wie hat sich die evangelische Kirche verändert durch eine "weibliche Spitze"?
Dorothee Wüst: Das Leitungsgremium der Pfälzer Kirche ist nun mehrheitlich weiblich besetzt. Das war ein kleiner Paradigmenwechsel. Dafür haben wir keine Frau mehr im Dekansamt. Die mittlere Ebene trägt so viel Verantwortung - vielleicht ist das ein Grund dafür, dass sich kaum noch jemand findet. Kurzsichtig wäre es aber, etwas über eine Frauenquote verändern zu wollen. Wir müssen das Dekansamt "machbar machen", dass es attraktiv wird für Männer und eben auch für Frauen.
Heike Springhart: Was Dekaninnen und Dekane angeht, sind wir in Baden gut aufgestellt, etwa die Hälfte der Dekanate werden von Dekaninnen geleitet. In der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sind wir sechs Frauen als leitende Geistliche, da ist noch Luft nach oben. Frau Wüst und ich gehören zu denen, die auch mal das frische und klare Wort sprechen. Das hat aber vermutlich nicht so viel unmittelbar mit dem Geschlecht zu tun, sondern eher mit der Frage, welche Bilder von Männern und Frauen im bischöflichen Amt es gibt.
Erleben Sie als kirchenleitende Frauen noch immer Vorbehalte?
Springhart: Meine Wahl zur Bischöfin wurde sehr positiv aufgenommen, viele sagten: "Es wird doch einmal Zeit, dass es eine Frau wird." Noch viel häufiger habe ich aber gehört, dass es bei meiner Wahl um das ging, was ich als Theologin, Pfarrerin und Person mitbringe. Insofern ging es für viele nicht darum, eine Frau zu wählen, sondern darum, die richtige Person zu wählen.
"Wenig autoritär, wenig hierarchisch, nahe an den Menschen dran"
Wüst: Die Frage des Geschlechts spielte auch bei meiner Wahl eine untergeordnete Rolle. Die Synodalen interessierte mehr, welche Visionen ich mitbringe angesichts der Herausforderungen der kommenden Jahre. Dennoch hörte ich danach durchgängig: "Gut, dass es jetzt einmal eine Frau ist."
Gibt es geschlechtsspezifische Rollenerwartungen an Sie - etwa, dass Sie sich besonders um Arbeitsfelder wie Familie, Gleichstellung oder Gesundheit kümmern sollten?
Wüst: Ich glaube schon, dass man uns als Frauen da eine größere Nähe zutraut. Aber ich wehre mich gegen ein Schubladendenken. Bei positiven Rückmeldungen zu meiner Arbeit aus den Gemeinden ist es schwer zu sagen, wie sehr es eine Rolle spielt, dass ich eine Frau bin. Es wird offenbar als wohltuend empfunden, wie ich das Amt sehe: wenig autoritär, wenig hierarchisch, nahe an den Leuten dran. Führung übernehmen heißt für mich: Ich teile eure Lebenswirklichkeit und eure Fragen und versuche, mit euch gemeinsam eine Antwort zu finden und an der Zukunft für die Kirche zu bauen. Wie viel dieser eher partizipative Führungsstil mit der Frage "Frau oder Mann?" zu tun hat - schwer zu sagen.
"Es ist wichtig, dass Gleichstellung nicht nur von Frauen vertreten wird"
Springhart: Unterschwellig gibt es schon die leise Frage: Können die Frauen das auch? Ich denke, wir können manch einen damit überraschen, dass wir natürlich leiten können und es auf unsere Weise gestalten. Mit Blick auf die Weltchristenheit muss man aber auch sehen, wie wenige Frauen wir in den Kirchenleitungen sind. Wichtig ist es daher, sichtbar zu machen, dass wir auch als Frauen Bischöfinnen sein können. Ich wünsche mir, dass das irgendwann schlicht selbstverständlich wird. Es ist aber ebenso wichtig, dass der klare Blick für die Gleichstellung von Frauen und Männern nicht nur von Frauen vertreten wird. Mein Vorgänger etwa war mindestens so gendersensibel wie ich.
Ist ein offener und kooperativer Leitungsstil folglich die Lösung für alle Probleme der Kirche, besonders den Mitgliederschwund?
Springhart: Letztlich geht es bei den Herausforderungen, die vor uns liegen, vor allem um Klarheit und Transparenz. Als leitende Geistliche muss ich eine Vision haben, aber auch Ratlosigkeit und offene Fragen kommunizieren. Mit Rückblick auf Corona etwa war die Kirche ganz stark, wenn sie öffentlich sagte: Es ist auch für uns die erste Pandemie, auch wir als Kirche sind verletzlich und haben die Wahrheit nicht in der Hand. Oft büßen wir gerade dann Glaubwürdigkeit ein, wenn der Eindruck entsteht, die Lösungen lägen längst in der Schublade. Als evangelische Kirche macht uns aus, dass wir starke Synoden haben. Sie entscheiden über den Weg der Landeskirche!
"Ich hätte gern, dass man mir meine Haltung glaubt"
Wüst: Keiner von uns spricht die Zauberformel, die die Menschen wieder in rauen Mengen die Kirchen spült. Ich habe da eine gewisse Grundgelassenheit: Das Schiff wird nicht untergehen, aber es wird deutlich Kursänderungen vornehmen müssen. Es wird anders werden, aber nicht notwendig schlechter. Darauf baue ich und hätte gern, dass man mir diese Haltung glaubt, dass man mir abnimmt, was mir wichtig ist, wofür ich stehe, womit es mir ernst ist. Und dass wir untereinander auf den verschiedenen kirchlichen Ebenen immer wieder Vertrauen einüben und kultivieren, um zu guten Entscheidungen zu kommen.
Können Sie als Kirchenpräsidentin und Bischöfin eigene Akzente setzen in ihrer Arbeit? Das Thema Aufarbeitung und Prävention von Missbrauch liegt ihnen beiden am Herzen.
Springhart: Die Aufarbeitung und Prävention von sexualisierter Gewalt sind mir wichtig und es ist ein gemeinsamer Akzent. In der Aufarbeitungskommission der Südkirchen arbeiten Baden und die Pfalz eng zusammen. Dabei geht es darum, konsequent der Perspektive der von sexualisierter Gewalt Betroffenen Gewicht beizumessen. Im März werden wir gemeinsam ein Betroffenenforum durchführen. Dass in unseren Kirchen sexualisierte Gewalt geschieht, und dass ein Glied am Leib Christi dem anderen solches Leid antut, ist ein Skandal, der uns ins Mark trifft. Deswegen müssen wir das, was Betroffene erlitten haben auch theologisch, liturgisch und seelsorglich bearbeiten.
"Wir passen theologisch sehr gut zusammen"
Wüst: An dem Thema führt ja gar nichts vorbei. Es wird und muss uns als Landeskirchen noch über viele Jahre begleiten und beschäftigen, unabhängig davon, wer an der Spitze steht. Insgesamt stehen wir vor der riesigen Herausforderung, an der Gestalt und Glaubwürdigkeit von Kirche für die Zukunft zu arbeiten. Dazu gehören auch Themen wie Digitalisierung, Mitgliederkommunikation, auskömmliche Finanzierung. Alles in allem reden wir über große Weichenstellungen für die Kirchengemeinden und Kirchenbezirke, für alle kirchlichen Arbeitsfelder, damit die frohe Botschaft Strahlkraft entwickeln kann.
Arbeiten die beiden Unionskirchen in der Pfalz und Baden durch den weiblichen Leitungswechsel enger zusammen?
Springhart: Es gibt die klare Verabredung, regionale Dinge zusammen zu machen. Wir passen auch theologisch sehr gut zusammen und könnten uns auf der mittleren Leitungsebene vermehrt austauschen. Für die badische Landeskirche ist natürlich auch die Kooperation mit Württemberg intensiv, da wir in einem Bundesland sind. Die Pfalz und die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) sind die Kirchen, mit denen es inhaltlich gut passt. Wir müssen schauen, was wir punktuell zusammen machen können und was gut funktioniert.
Wüst: Auch für uns ist das Bundesland Bezugsgröße, weshalb wir in gutem und engem Kontakt mit der EKHN und der rheinischen Kirche sind. Dennoch ist gerade wegen der regionalen und inhaltlichen Nähe noch Spiel nach oben, was eine verbindliche Kooperation mit Baden betrifft.