Christina Lux
Blinde Pfarrerin mit Krebserkrankung
"Man kann ja nicht von morgens bis abends Angst haben"
Als wir in die Straßenbahn zur Kletterhalle steigen, bleiben einige Blicke an Christina Ernsts Gesicht hängen. Ah, ein langes Pflaster, denken die Leute vielleicht über das, was ihr rechtes Auge verdeckt. Wahrscheinlich hätte ich das auch gedacht, wenn ich ihr einfach so begegnet wäre. Tatsächlich hat sie gar kein echtes Auge mehr. Und das, was aussieht wie ein Pflaster, ist ein Stück von Christinas Rückenhaut.
Von der Straßenbahn bis in die Umkleidekabine nimmt Christina meinen Arm. Wäre sie allein, würde sie ihren faltbaren Stock aus dem Rucksack holen. Aber so ist es einfacher für sie. In der Umkleide muss ich über ihre Socken lachen. Sie sind knallbunt, und es sind Faultiere drauf. "Sie machen mir gute Laune", sagt Christina. Allein zu wissen, dass sie lustige Socken anhat.
"Als ich zwei war, habe ich oft nicht erkannt, ob meine Mutter oder mein Vater zur Tür reinkommt", erzählt sie. Schuld an ihrer Sehschwäche war ein Retinoblastom, eine seltene Krebserkrankung in der Netzhaut, bei ihr erblich bedingt. Ein Auge musste gleich entfernt werden, kurz vor ihrem vierten Geburtstag wurde auch das andere durch ein Auge aus Glas ersetzt. Von nun an war sie vollständig blind. Der Tumor galt als verschwunden.
Heute ist Christina Ernst 41, und ihr Weg war nicht der, den die Gesellschaft für blinde Menschen vorsieht. Statt einer Blindenschule besuchte sie erst die Grundschule, dann das Gymnasium um die Ecke. Das Abi schaffte sie mit 1,0 - als erste blinde Schülerin überhaupt, die in Niedersachsen komplett integrativ beschult wurde.