epd: Sie kommen aus der Automobilbranche und arbeiten jetzt für die Landeskirche. Ein doch ungewöhnlicher Weg. Wie kam es dazu?
Markus Bönisch: Ich war sehr zufrieden in der Automobilbranche, das war schon eine sehr spannende Arbeit. Aber die Corona-Pandemie hat mich zum Nachdenken gebracht, ob das jetzt beruflich alles war. Die Automobilbranche liefert zwar gerade gute Antworten auf sehr dringende Fragen - nämlich die Elektrifizierung von Fahrzeugen. Aber ich habe gemerkt, dass mir eine stärkere Wertegemeinschaft sehr wichtig ist. Dann habe ich mich umgeschaut.
Und haben die Landeskirche als Arbeitgeberin entdeckt?
Bönisch: Erstmal nicht. Ich hatte die Landeskirche überhaupt nicht als Arbeitgeberin auf dem Schirm. Im Sommer 2021 habe ich dann eine interessante Stellenanzeige gelesen, dass die Landeskirche einen CIO (Chief Information Officer) sucht, also einen IT-Leiter. Die Anzeige klang jedenfalls sehr spannend. Und christlich sozialisiert bin ich auch. Also habe ich mich beworben. Ich bereue den Schritt nicht. Hier erlebe ich eine Wertewelt, die ich gesucht habe.
Haben Sie eine besondere Beziehung zur Kirche?
Bönisch: Ich bin katholisch getauft, war Ministrant und Jugendgruppenleiter in meiner Heimatstadt. Mit dem Beginn des Studiums hatte ich aber nicht mehr eng mit der Kirche zu tun. Das hat sich dann durch meine zwei Töchter geändert.
"Da habe ich das Evangelische so richtig kennen- und schätzen gelernt"
Meine Frau ist evangelisch, die Kinder wurden evangelisch getauft, meine größere Tochter ist inzwischen auch konfirmiert. Da habe ich das Evangelische so richtig kennen- und schätzen gelernt. Ich bin inzwischen auch in die evangelische Kirche übergetreten. In meinem Wohnort Penzberg habe ich eine offene, humorvolle und menschenzugewandte evangelische Kirche kennengelernt.
Die Stelle des CIO in der Landeskirche wurde extra neu geschaffen. Mal ehrlich: Eine funktionierende IT ist doch Grundvoraussetzung für jedes Unternehmen. Wie war denn die landeskirchliche IT vorher aufgebaut?
Bönisch: Ja, es wurde extra eine neue Abteilung geschaffen. Vorher war die IT auf die anderen Abteilungen verteilt: Der Finanzbereich zum Beispiel war zuständig für eine SAP-Lösung in der Buchhaltung, die Organisationsabteilung für die PCs im Landeskirchenamt. Da gab es wenig Synergien und keine gemeinsame Strategie. Ein Ergebnis des PuK-Prozesses (Profil und Konzentration) in der Landeskirche war 2019, die IT in einer Abteilung zu bündeln, um Reibungsverluste zu vermeiden.
Sie sind jetzt seit 1. Januar auf der neuen Stelle, hatten also Zeit, sich alles genau anzuschauen. Was sehen Sie als Ihre größten Aufgaben?
Bönisch: Zuallererst musste ich umdenken. Als CIO liegen in meinem Verantwortungsbereich das Landeskirchenamt, die 1.536 Kirchengemeinden, 35 Verwaltungsverbünde und viele weitere Dienste und Werke, denen meine Abteilung gute Angebote machen möchte.
"Jede Kirchengemeinde und jede Verwaltung ist frei in ihrer Entscheidung"
Das Besondere daran: Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern ist körperschaftlich aufgebaut, damit sind die Kirchengemeinden und viele weitere Einrichtungen weitgehend unabhängig in ihren Entscheidungen. Diese Strukturen erlauben es mir nicht, bestimmte Programme oder Software vorzuschreiben. Jede Kirchengemeinde und jede Verwaltung ist frei in ihrer Entscheidung.
Das klingt nach einem Flickenteppich ...
Bönisch: Man muss eben überzeugen durch gute Angebote, die besser sind als das Bisherige. Durch die Bündelung von Leistungen, durch die Entlastung von IT-Aufgaben, durch Einkaufsverbünde und ein flächendeckendes Servicekonzept können wir viel erreichen.
Erzählen Sie ...
Bönisch: Ich habe ein gut vorbestelltes Haus vorgefunden. Die Landeskirche hat gut auf die Herausforderungen der Corona-Pandemie reagiert und Homeoffice umgesetzt. Jetzt geht es darum, diese schnell umgesetzte Digitalisierung auf stabile Füße zu stellen. Da gibt es eine Menge an Themen, die ich angehen möchte. Dazu entwerfen wir auch gerade eine neue IT-Strategie mit mehreren Schwerpunkten.
Und die wären?
Bönisch: Der große Schwerpunkt ist natürlich die Digitalisierung. Die Landeskirche hat gerade drei große Herausforderungen, bei denen eine gut aufgestellte Digitalisierung helfen kann. Zum einen der demografische Effekt: Wir haben künftig immer weniger Pfarrer, die die 1.536 Kirchengemeinden seelsorgerlich und auch verwaltungstechnisch betreuen sollen. Wir haben einen eklatanten Mitgliederschwund. Und dadurch natürlich auch weniger Einnahmen durch Kirchensteuern.
"Bislang kümmern sich ja noch viele Pfarrer selbst um ihre Technik"
Den immer weniger Pfarrern wäre schon mal geholfen, wenn die immer mehr Verwaltungsaufgaben vermehrt automatisiert ablaufen würden. Oder wenn wir ihnen zentrale Lösungen für ihr technisches Equipment anbieten. Bislang kümmern sich ja noch viele Pfarrer selbst um ihre Technik. Oder wenn der ganze Briefverkehr bei Stellenbesetzungen digital ablaufen würde. Oder die Unmengen an Akten, die man sich durch digitale Lösungen sparen könnte.
Da hat Ihnen die Pandemie doch sicherlich in die Karten gespielt, oder?
Bönisch: Das sichtbarste Beispiel an Digitalisierung der letzten Jahre sind natürlich die im Internet übertragenen Gottesdienste in der Pandemie. Das wäre vor vier Jahren doch noch undenkbar gewesen. Aber unsere Mitglieder ändern sich ja auch. Es kommen immer mehr Digital Natives nach. Die brauchen nicht nur einen Sonntagsgottesdienst und zahlen ansonsten brav Kirchensteuer. Der Landesbischof macht es vor mit seinem Facebook-Account. Da tritt er in Dialog mit den Mitgliedern. So was brauchen wir viel mehr. Junge Leute sind auf Youtube oder TikTok unterwegs - wäre vielleicht eine Church-App was für sie?
Dazu müssten Sie erstmal genau herausfinden, was die Kirchenmitglieder eigentlich erwarten von ihrer Kirche.
Bönisch: Genau. Wir müssen wissen, welche Erwartungen und Bedürfnisse die Kirchenmitglieder haben, was sie gut finden und was nicht. Das alles möchten wir herausfinden, natürlich unter Einhaltung des Datenschutzes. Einen Grundsatz aus der Wirtschaft zitiere ich immer noch gern: Es ist fünfmal teurer, einen neuen Kunden zu gewinnen, als einen bestehenden zu halten.
So ein Blick von außen ohne Kirchensprech ist auch mal ganz erfrischend ...
Bönisch: Die Oberkirchenräte haben mich anfangs schon ermahnt, mehr von Mitgliedern und nicht nur von Kunden zu sprechen (lacht). Aber wir haben Verwaltungsstrukturen, Pfarrer brauchen Werkzeuge für ihre Arbeit, die Kirche ist eine große Arbeitgeberin. Ich finde schon, dass Kirche daher auch ein Unternehmen ist.
Zurück zu Ihrer IT-Strategie. Welche Schwerpunkte haben Sie noch?
Bönisch: Wir müssen mit Bedrohungen, wie etwa Cyber Crime umgehen. Wenn Hacker unsere Systeme sperren und nur wieder gegen Lösegeld freigeben würden, hätten wir ein Riesenproblem. Angegriffen wird leider, wer sich angreifbar macht. Und oftmals stecken auch gar nicht menschliche Hacker hinter den Angriffen, sondern Algorithmen.
"Wir müssen zukunftsfähig sein, dazu braucht es neue Technologien für die Mitgliederbindung"
Wir müssen zukunftsfähig sein, dazu braucht es neue Technologien für die Mitgliederbindung. Wir müssen uns aufs Neue Arbeiten mit den neuen Kommunikationsmöglichkeiten einstellen und unsere Nutzer müssen natürlich zufrieden sein mit unseren IT-Lösungen.
Kann Ihre IT-Strategie auch helfen, Pfarrstellen, die seit längerem vakant sind, zu besetzen?
Bönisch: Ja. Wir tun uns immer schwerer, Pfarrstellen im ländlichen Raum zu besetzen, auch weil die Partner von Pfarrern fürchten, dort keine Arbeit zu finden. Unsere Idee ist, solche Pfarrhäuser mit einer hervorragenden multimedialen Technologie auszustatten für Homeoffice oder hybrides Arbeiten. Das wäre ein riesiger Mehrwert für solche Pfarrstellen. Wenn ein Pfarrer das bisher wollte, musste er sich alles selbst zusammenstellen. Wir wollen das probehalber bei schwierig zu besetzenden Pfarrstellen ausprobieren. Wenn es gut ankommt, kann man das Angebot ausbauen.
"Ich finde übrigens prinzipiell, dass wir viel mehr ausprobieren müssen"
Ich finde übrigens prinzipiell, dass wir viel mehr ausprobieren müssen. Wenn es funktioniert, kann man weiter machen. Wenn nicht, dann hört man eben wieder auf. Aber man kann nicht ständig aufwendige Konzepte zu allem schreiben. Wir müssen stattdessen Erfahrungen sammeln. In zwei Dekanaten läuft jetzt auch probehalber eine, wie ich finde, richtig gute Kirchenapp, die Ehrenamtliche programmiert haben. Wenn die gut ankommt, könnten wir die auch in weiteren Dekanaten anbieten.
Das klingt nach viel Arbeit und vielen guten Ideen - aber auch nach vielen Kosten ...
Bönisch: Wir reden hier von einigen Millionen Euro, aber auch von dauerhaften Leistungen. Eine gute IT-Infrastruktur hilft ja auch, dauerhaft bestimmte Kosten einzusparen. Letztendlich gilt, dass wir nicht an der IT sparen dürfen, sondern mit der IT sparen.