Die 65-Jährige Maria Anna Leenen schreibt geistliche Bücher, hält Lesungen und Vorträge und zählt dadurch zu den bekanntesten Eremiten im deutschsprachigen Raum. Ihr neuestes Buch thematisiert das "Allein sein". Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst schildert Leenen, was das für sie bedeutet.
epd: Frau Leenen, Sie haben sich freiwillig für das Alleinsein entschieden. Sie gehen aber einkaufen, empfangen Besucher, halten Vorträge und Lesungen. Wann und wie oft sind Sie tatsächlich allein?
Maria Anna Leenen: In der Regel gehe ich ein, zwei Mal pro Woche ein bisschen einkaufen. Aber ansonsten bin ich schon den ganzen Tag mehr oder weniger allein mit meinen Tieren. Aber ich habe Freunde und einen Förderverein, der die Klause betreut. Und jetzt nach dem Corona-Lockdown kommen Menschen wieder zum Gespräch zu mir. Ich versuche aber, alles zu reduzieren, was mich von meiner innersten Berufung abhält. Große Partys, Theater, Kino, Shopping-Events oder Grillabende mache ich nie. Kontakt zu Menschen ist nicht verboten - aber nicht zum Schwatzen über die neueste Mode. Sondern es geht immer um existentielle Fragen.
Wie sieht denn ein typischer Tagesablauf aus?
Leenen: In der Regel stehe ich um 7.30 Uhr auf. Als Erstes gehe ich in meine kleine Kapelle zu einem kurzen Gebet. Und schon stehen mein Hund und die beiden Katzen da und wollen Frühstück. Also füttere ich sie und die Ziegen, trinke zwischendurch einen Kaffee und gehe mit dem Hund eine kleine Runde. Gegen 8 Uhr bin ich wieder in der Kapelle und bete das Morgengebet.
Dann ist Arbeitszeit - am Schreibtisch, im Garten, im Stall, auf dem Gelände. In der Mittagspause gibt es nach dem Gebet ein schnelles Mittagessen. Nachmittags mache ich mit den Ziegen und dem Hund Spaziergänge. Anschließend bete ich die Vesper in der Kapelle und meditiere. Abends koche ich meistens ein bisschen was und esse. Bis 22 Uhr ist Arbeitszeit am Schreibtisch. Dann sehe ich mir die Tagesthemen an und gehe ins Bett.
Ist das nicht langweilig?
Leenen: Für mich ist Alleinsein die riesengroße, unverzichtbare Chance, mir selbst, dem Menschsein und dem Sinn des Glaubens an Gott auf die Spur zu kommen. Das kann ich nur in intensiven Gebeten, Kontemplation und Lesen in der Bibel. Es ist nicht immer leicht. Aber es ist das Schönste, was ich mir vorstellen kann.
Was finden Sie denn, wenn Sie versuchen, dem Menschsein auf die Spur zu kommen?
"Jeder Mensch ist ein Geschenk - mit allen Macken und Fehlern"
Leenen: Dass jeder Mensch ein Geschenk ist - mit allen Macken und Fehlern. Diese Erfahrung und diese Erkenntnis möchte ich um nichts in der Welt missen.
Wie ist es, wenn ein Gefühl von Einsamkeit Sie überfällt? Oder gibt es das gar nicht?
Leenen: Nein, das gibt es nicht. In den ersten Jahren war es hart. Ich habe in einer alten Baracke gewohnt, in der die zivilisatorischen Errungenschaften komplett fehlten. Und die Menschen im Dorf haben mich nicht akzeptiert, weil ihnen meine Lebensweise fremd war - das ging bis hin zu Beleidigungen und Verdächtigungen. Aber das, was andere Menschen unter Einsamkeit verstehen, das habe ich nicht. Ich habe aber schon mal schlechte Laune oder bin sauer.
Wie bestehen Sie Krisen allein - Krankheiten, seelische Belastungen, die derzeitigen vielfältigen politischen und klimatischen Krisen?
Leenen: Es kommt schon vor, dass ich in der Kapelle sitze und weine, weil ich merke, wir Menschen sind nicht vollkommen und machen Fehler, schwere Fehler - wenn ich an den Krieg in der Ukraine denke oder Missbrauchsfälle ans Tageslicht kommen. Letztlich muss ich mich dann aber immer daran erinnern, dass Gott kein Wunscherfüllungs-Automat ist. Aber ich bin zutiefst überzeugt, dass er mit dieser Welt, die er geschaffen hat, etwas Positives will.
"Die Fehler machen wir" - nicht Gott
Die Fehler machen wir. Die Hitze gerade kommt nicht von Gott, die haben wir verursacht. In Gesprächen oder mit meinen Publikationen versuche ich aufzurütteln - nicht mit erhobenem Zeigefinger. Ich versuche, den Menschen klarzumachen - ihr seid ein Geschenk. Und indem ihr das akzeptiert, merkt ihr, woran wir noch arbeiten müssen.
Gelingt allein sein Ihnen auch in der dunklen und kalten Jahreszeit?
Leenen: Da gelingt es mir sogar besser. Meine Ziegen sind dann stiller. Ich muss im Garten nichts arbeiten. Ich genieße es ohne Ende, Stunde um Stunde, bis in die Nacht hinein am Schreibtisch zu sitzen und Bücher zu schreiben - mit ein wenig Musik und dem großen Ofen in meinem Rücken. Und wenn dann einer kommt, muss ich gucken, dass ich meine gute Laune behalte.
Was raten Sie Menschen, die sich einsam fühlen?
Leenen: Ich rate ihnen, sich den Urgrund ihrer Einsamkeit bewusst zu machen, sich diese Gedanken aufzuschreiben, auf den Küchentisch oder neben das Bett zu legen. Damit sie immer mal wieder draufgucken und sich dadurch selbst auf die Spur kommen können. Während des Corona-Lockdowns hatte ich viele Anrufe. Manchmal kommen dann auch Traumata, etwa aus der Kindheit, an die Oberfläche.
"Als schmerzlich empfundene Einsamkeit hängt oft mit einem defizitären Selbstbild zusammen."
Jemand fragte mich einmal: Wenn niemand da ist, der mir sagt, ich bin - bin ich dann oder bin ich dann nicht? Als schmerzlich empfundene Einsamkeit hängt oft mit einem defizitären Selbstbild zusammen. Es ist das Gefühl, nicht geliebt oder überhaupt wahrgenommen zu werden.