"Ich habe so eine Sehnsucht nach dem Bodensee", entfährt es Kurt Schmid. Der rüstige Mann freut sich über seinen Platz im Kirchenschiff, das er soeben in der kleinen Gemeinde Bodman (Kreis Konstanz) besteigen konnte. Schmid, Anfang 80, arbeitete sein ganzes Leben auf dem elterlichen Hof. Felder und Vieh ließen kaum Ausflüge an den Bodensee zu.
Seitdem er den Hof übergeben hat, kann er die halbe Stunde an den See fahren, das Schiff Motorschiff "Großherzog Ludwig" besteigen und am Gottesdienst teilnehmen. Denn beides ist ihm wichtig - der See und der Glaube. So wie Schmid dürfte es vielen gehen, die am Sonntagabend das Kirchenschiff besteigen.
200 Passagiere passen auf die "Großherzog Ludwig", die nach dem badischen Regenten benannt ist, der dem Ortsteil Ludwigshafen seinen Namen gab. Durch die kirchenähnliche Bestuhlung des Schiffes mit einem breiten Mittelgang stehen, wegen der Corona-Pandemie, Plätze für 150 Menschen bereit.
Die ökumenische Aktion geht ins zehnte Jahr, und man merkt schnell, wie gut eingespielt die beiden Geistlichen an Bord sind. Auch ein gemeinsames Liederheft gibt es bereits: Die Landesgartenschau in Überlingen (2021) war ein guter Anlass, um sich auf gemeinsame Choräle und Texte zu einigen.
Die Leitung der Andacht auf dem Wasser liegt beim evangelischen Stadtpfarrer von Überlingen, Kai Tilgner, sowie seinem katholischen Kollegen Hans-Peter Becker, der als Pallottiner auf dem Hersberg wirkt. Passend zur sommerlichen Stimmung verzichten beide Geistliche auf Talare und tragen Regenbogen-Stolen zum weißen Hemd.
Wer mit leichter Kost gerechnet hat, sieht sich getäuscht. Stadtpfarrer Tilgner hat sich, als Experte für das Alte Testament, einen Text aus dem Leben des Propheten Elias vorgenommen - jenes Kapitel, in dem dieser mutige Mann alles hinwirft und frustriert in die Wüste flieht, um sich unter einem Wacholderbusch zu verstecken.
"Christliche Botschaft nicht immer mundgerecht"
Tilgner legt diese Episode in ihrer Mischung aus bitterer Verzweiflung und neuem Auftrag detailliert aus. Die christliche Botschaft sei nicht immer mundgerecht, erklärt er. "Manches Mal müssen wir Antworten auf Fragen geben, die sonst keiner stellt", schließt er den Bogen vom biblischen Propheten zum modernen Menschen.
In Überlingen gehen weitere Gäste an Bord, darunter ein ehemaliger Spitzenpolitiker: Erwin Teufel. In Begleitung von Tochter und Schwiegersohn lässt sich der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident auf einer der Holzbänke nieder. Der überzeugte Katholik kennt das Kirchenschiff bereits, mit seiner im Jahr 2020 verstorbenen Ehefrau war er mehrfach mitgefahren.
Die Schar der Mitreisenden ist bunt gemischt. Mancher Tourist verbindet die Schiffsfahrt mit dem ungewöhnlichen Gottesdienst und bucht spontan. Allerdings haben sich auch viele Christen aus der Umgebung für die abendliche Andacht auf dem Wasser angemeldet. Eine Gruppe von der Halbinsel Höri (Kreis Konstanz) freut sich schon seit Wochen auf den ungewöhnlichen Ausflug.
Auch für eine Frauengruppe aus Hilzingen im Hegau ist der Gottesdienst auf dem Bodensee ein Muss. Eine Seniorin erzählt, dass sie kaum mehr in die Kirche gehe, weil sie sich nach einem Herzinfarkt wegen der Ansteckungsgefahr dort nicht mehr hintraue. Das Kirchenschiff aber gebe ihr Sicherheit. Die Frau freut sich bereits auf die See-Gottesdienste im nächsten Jahr. Dann feiert dieses Angebot sein zehnjähriges Bestehen.