Allerlei skurriles Volk hat die Geschichte aus Tirol, die der ORF bereits 2016 ausgestrahlt hat, allerdings ebenfalls zu bieten. Das würde die späte Sendezeit erklären, doch das ZDF begründet den Termin um 23.00 Uhr mit den zuletzt eher enttäuschenden Quoten der Reihe. Tatsächlich lebt "Sommernachtsmord" weniger von der Frage nach dem Schicksal der offenbar ermordeten und anschließend feierlich mit Grabkerzen und Blumenkranz auf einer Alm aufgebahrten deutschen Touristin Monika Löffelhart (Franziska Petri), sondern von den sonderbaren Figuren. Der Dramatiker Felix Mitterer, 1992 als Autor des Mehrteilers "Die Piefke-Saga" mit dem Grimme-Preis geehrt, hat die Geschichte als Ensemblestück mit rund einem halben Dutzend gleichwertiger Rollen konzipiert, weshalb die aus Innsbruck angereiste Ermittlerin nur eine von vielen ist. Die LKA-Majorin fügt sich prächtig ins Gesamtbild: Claudia Wegscheider (Katharina Strasser) schreckt nicht davor zurück, Beweise zu fälschen, wenn sie einen Täter legal nicht überführen kann, und wird bei Vernehmungen auch mal handgreiflich; von den Verbalinjurien, die sie ausstößt, wenn das Aufnahmegerät abgeschaltet ist, ganz zu schweigen. Schade, dass es in der "Landkrimi"-Historie bei diesem einzigen Fall für Wegscheider geblieben ist.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Hauptverdächtiger im Fall der mutmaßlichen Ermordung – die Leiche der Frau ist wie vom Erdboden verschluckt – ist zunächst Florian Falkner (Gregor Bloéb). Der Hotelbarpianist, der zudem ein entfesseltes Orgelspiel pflegt, verführt Touristinnen mit seiner Musik, um sie auf diese Weise als zahlungskräftige Patinnen für seinen Traum zu gewinnen: Er plant einen dreißig Meter hohen Turm aus über tausend unterschiedlich großen Orgelpfeifen, mit denen der Wind seine eigene Musik machen soll. Florians gottesfürchtige Familie sieht das Projekt kritisch, der alte Isidor (Peter Mitterrutzer) vergleicht es gar mit dem Turmbau zu Babel, doch die Falkners sind ohnehin speziell: Bruder Romed (Martin Leutgeber) hat Bärenkräfte, ist geistig zurückgeblieben und hat sich eine selbstgestrickte lebensgroße Frauenpuppe auf den Rücken gebunden. Mutter Adelheid (Julia Gschnitzer) sorgt mit ihren Tarotkarten für die Struktur des Films: Jedes Mal, wenn sie eine Karte umdreht (der Tod, der Narr, der Teufel, die Liebenden), beginnt ein neues Kapitel.
Die Einheimischen pflegen einen Dialekt, der für ein hiesiges Publikum mitunter nur schwer verständlich ist, doch das ist nicht der einzige Grund, warum Clemens Schick aus dem Rahmen fällt. Er spielt den Gatten des vermeintlichen Opfers und drängt sich als Verdächtiger geradezu auf: Der Mannheimer Unternehmer hat Pleite gemacht, aber vorher noch einen Haufen Geld beiseite geschafft, wie Wegscheider von der deutschen Steuerfahndung weiß; nur dank dieses Tipps ist sie überhaupt in der Gegend. Diese bis vor kurzem in einem Schließfach deponierten sechs Millionen Euro werden mehr und mehr zum Motor der Handlung, denn sie sind ebenso verschwunden wie die Leiche der Gattin, die sich das Geld anscheinend unter den Nagel gerissen hat. Dies sowie Löffelharts Eifersucht machen ihn den Augen Wegscheiders selbstredend hochgradig verdächtig. Leider übertreibt Schick bei seinem Spiel stimmlich und mimisch maßlos; mitunter wirkt der Mann, als sei er irre (Regie: Harald Sicheritz).
Von außerordentlicher Qualität ist dagegen die Bildgestaltung. Helmut Pirnat, einer der erfahrensten österreichischen Kameraleute, hat nicht nur für ein besonderes Licht und einige schwungvolle Kamerafahrten gesorgt. Die knalligen Farben bescheren dem Film eine Art Retro-Look, zumal Details wie etwa Monikas leuchtender Nagellack auf diese Weise zusätzlich betont werden. Florians Verlobte, die Kellnerin Regina (Gerti Drassl), verfolgt dessen Werben um betuchte Spenderinnen schon länger mit Argwohn, womit sie selbstredend ebenfalls zum Kreis der Verdächtigen gehört. Aber auch Florian kommt wieder ins Spiel, schließlich hat er Monika mit dem Versprechen, dies sei "der schönste Platz zum Sterben", zu seinem Lieblingsort auf den Berg geführt. Der Pianist ist, seinem Charme zum Trotz, ohnehin eine undurchsichtige Figur, doch das gilt für alle Beteiligten: In Mitterers Geschichte ist niemand ohne Schuld; selbst Wegscheider wird schließlich wegen ihrer eigenwilligen Ermittlungsmethoden suspendiert.