Der Friedhof als Ort der Erinnerung, der Begegnung und der kulturellen Vielfalt. Mit diesem Gedanken wurde eine Skulpturenausstellung auf dem ausgedehnten Parkgelände des Radolfzeller Waldfriedhofs eingerichtet, die auf großes Interesse stößt.
Die Idee zur Freiluftgalerie, die bis Mai 2023 zu sehen ist, gab Christof Stadler, Historiker und Stadtrat. Er hatte den Einfall, das üblicherweise alle zwei Jahre stattfindende Bildhauersymposium Radolfzells auf den Waldfriedhof auszudehnen. Das Symposium fand in diesem Mai zum vierten Mal statt: doch wie immer im Mettnaupark, also auf der Halbinsel im Bodensee.
Dort sägen und schleifen, meißeln und malen Bildhauer und Bildhauerinnen eine ganze Woche lang - unter reger Beobachtung von Einwohnern und Kurgästen. Die teils lautstarke Arbeit passt jedoch nicht zu Trauer und Bestattungen, also nicht auf den Friedhof.
So kamen Christof Stadler, Jan Drews als Leiter des städtischen Friedhofswesens und Heike Endemann, Künstlerin und Initiatorin des Radolfzeller Bildhauersymposiums überein, einen Skulpturenpfad zu konzipieren. Fertige Werke sollten in den Waldfriedhof kommen - als zusätzliche Anziehungspunkte und Wegmarken. Mit einer Ausschreibung des Bundes Freischaffender BildhauerInnen Baden-Württembergs wurden Interessierte gefunden, die passende Skulpturen auswählten und im Frühjahr lieferten.
Bei einer ersten Führung wurden sie nun vorgestellt. Begrüßt werden Besucher nahe dem Haupteingang vom "Gartenwinkel" von Barbara Jäger, einem farbenfrohen Werk aus Stahl. Königsblau ist es von außen, im Innenraum rot lackiert. Die Farbe Blau stehe als Farbe der Erinnerung, der Träume und Sehnsüchte, die Farbe Rot für die Liebe und innige Verbundenheit, so schreibt die Karlsruherin zu ihrer Skulptur.
Nahezu alle der insgesamt 14 Werke haben mit Zeitlichkeit und Fragilität zu tun, mit der Liebe zu Gott und der Schöpfung, mit der Verbindung von Himmel und Erde. Susanna Giese aus Esslingen gestaltete beim letzten Bildhauersymposium zwei Frauenfiguren in einer Barke, hier zeigt sie wieder eine weibliche Figur, in sich gekehrt und zerbrechlich. Sie hat es als einzige Skulptur unter das schützende Dach der Kapelle geschafft.
Der Waldfriedhof selbst wurde erst 1956 eröffnet, als Parkgelände oberhalb der Stadt. Zweimal schon wurde erweitert, zuletzt 2011. "Aus heutiger Sicht wäre das nicht mehr notwendig gewesen", sagt Jan Drews. Immer mehr Bestattungen werden in Friedwäldern vorgenommen, Urnengräber auf dem Friedhof brauchen weniger Platz. So werden ganze Areale frei und zu Kräuterwiesen und Grasflächen, aufwändig in der Pflege.
Die zentrale Achse zwischen Haupteingang und Kapelle wurde nun zur Freiluftgalerie. Flyer geben Auskunft, die Kunstwerke sind nummeriert und stehen zum Verkauf. Manche zeigen sich direkt am Weg, andere wollen entdeckt werden.
Die beiden Holzskulpturen von Heike Endemann beispielsweise, "Im Dialog Teil 1 und 2", hängen in den Bäumen, als weiß und rot leuchtende Gäste auf Zeit. Das Holz stammt von einem Mammutbaum und einer Zeder, beide mussten auf der Insel Mainau nach einem Sturm gefällt werden.
Neben Heike Endemann führt der Historiker Christof Stadler. Er vermittelt nicht nur einen Überblick über die Friedhofsgeschichte der Stadt Radolfzell, gegründet 826 als "Cella Ratoldi", also als Klosterzelle des Bischofs von Verona, sondern weist auch auf etliche Dauerkunstwerke im Gelände hin.
Immer mehr Gläubige anderer Konfessionen wohnten und wohnen in der traditionell katholischen Stadt. Heute ist nahezu jeder zweite Tote konfessionslos, so Friedhofsleiter Jan Drews. Und auch diese Gestorbenen finden Platz zwischen alten Bäumen und neuer Kunst.