Wandern - das war schon immer das gemeinsame Hobby von Beate und Pius Löcher. Doch als das Ehepaar vor 23 Jahren gemeinsam zum ersten Mal mit einer Gruppe auf dem Jakobsweg in Spanien unterwegs war, ergriff den gelernten Bankkaufmann und die Lehrerin das Pilgerfieber: "Wandern ist eine schöne Beschäftigung", sagt Pius Löcher. "Noch erfüllender ist, wenn man nicht nur schöne Wege sucht, sondern ein Ziel hat, zu dem man geht."
Insgesamt sind die beiden bereits 18.000 Kilometer gepilgert, wie sie erzählen. Die längste Reise waren die insgesamt 4.400 Kilometer nach Santiago de Compostela in Nordspanien - hin und wieder zurück. "Der berühmte Jakobusweg ist vor allem in den Abschnitten in Spanien unvergleichlich", schwärmt Pius Löcher. Natürlich dürfe man sich nicht daran stören, dass hunderte Menschen ihn ebenfalls pilgerten, aber man könne seinen Tagesrhythmus auch so gestalten, dass man nicht im Pulk mit allen unterwegs sei.
Vor acht Jahren ist das Ehepaar nach Ostern von Rottweil losgewandert und kam dann ein paar Tage vor dem Fest des heiligen Jakobs am 25. Juli in Santiago an. Jakobus der Ältere war einer der ersten Jünger Jesu. Im 9. Jahrhundert entstand in Santiago de Compostela eine Basilika ihm zu Ehren und die Stadt in Galizien wurde Wallfahrtsort. Der Europarat erklärte die mittelalterliche Pilgerstrecke nach Santiago 1987 zum ersten "Europäischen Kulturweg".
Schritt für Schritt zurück in vertraute Gefilde
Auf dem Rückweg sind die Löchers dann auf einer anderen Route wieder nach Hause gepilgert. Insgesamt waren sie fast ein halbes Jahr unterwegs. "Es ist es wunderbar, wenn man nicht nur bis zu seinem Reiseziel pilgert, sondern auch den Rückweg wieder zu Fuß antritt", erzählt Beate Löcher. Es sei ein schönes Gefühl, zu merken, dass Schritt für Schritt alles wieder vertrauter werde: Die Sprache, das Essen, die Ortschaften und man immer mehr dorthin komme, wo man hingehöre.
Auf ihren vielen Pilgertouren kam es manchmal auch vor, dass die beiden unterwegs keine Unterkunft für die Nacht fanden. "Doch wir haben uns dazu entschieden, in solchen Situationen nicht ein Taxi zu rufen, sondern uns mit dem zu begnügen, was vorhanden ist", sagt der 67-Jährige. Die spärlichste Unterkunft war in der Nähe der westlichen Pyrenäen im französischen Puyoô, wo sie auf ihrer Isomatte vor der Kirchentür übernachteten. "Auch das haben wir überstanden."
Per pedes zu Petrus und Paulus
Immer wieder hätten sie überwältigende Gastfreundschaft erlebt. Als das Ehepaar in Les Cars in Südwestfrankreich abends auf einem öffentlichen Platz die Schlafsäcke ausgerollt hatte, um dort zu schlafen, habe ein junger Mann sie entdeckt und ihnen eine kostenlose Übernachtungsmöglichkeit in seinem Wohncontainer angeboten. "Beim Pilgern ist auch immer ein Stück Abenteuer dabei. Man weiß nie genau, was auf einen zukommt", sagt Beate Löcher.
Auch nach Rom, zu den Gräbern der Apostel Petrus und Paulus, sind sie gepilgert. "Wenn man zu Fuß nach Rom geht, erlebt man die Stadt ganz anders", ist Beate Löcher überzeugt. Der Rückweg von Rom musste unterbrochen werden: Ihr Mann erlitt in Ferrara einen Infarkt am linken Auge, sein Auge ist seitdem weitgehend erblindet. Zunächst war nicht klar, ob mit dieser Beeinträchtigung Pilgern weiter möglich sein würde.
Was Anfänger beachten sollten
Der Gedanke an den Choral "Wer nur den lieben Gott lässt walten" von Georg Neumark (1621-1681) habe ihm nach der Diagnose sehr geholfen, erzählt er. Darin ruft der Liederdichter auf, sich nicht zu sorgen, sondern sein Vertrauen auf Gott zu setzen. Heute sei sein räumliches Sehvermögen beeinträchtigt, doch könne er wieder ohne Probleme unterwegs auf Pilgerpfaden sein. Gerade kommen die beiden aus Österreich zurück, wo sie auf den Spuren der dortigen Heiligen unterwegs waren.
Sie komme durch das Pilgern sehr zur Ruhe, sagt Beate Löcher. "Ich kann nicht sagen, dass ich durch das Pilgern gläubiger geworden bin, aber es hat auf jeden Fall meinen Glauben unterstützt."
Pilger-Anfängern raten die beiden, mit einer kurzen Tour zu beginnen. Der Rucksack sollte nicht zu groß sein, "45 Liter reichen üppig". Zudem sei es wichtig, auf bequeme Schuhe zu achten, die weit genug seien und nicht drückten, auch wenn der Fuß bei Hitze anschwelle. Blasenpflaster und Wundheilsalbe sollten immer im Gepäck sein.
Nach jeder Tour geht das Ehepaar seinen Rucksack durch und überlegt, was es nicht gebraucht habe, bei der nächsten Etappe zu Hause lassen könne, um mit möglichst wenig Ballast unterwegs zu sein. Das Allerwichtigste aber ist laut Beate Löcher: Alle Erwartungen daheim zu lassen. "Ansprüche kommen nicht in unseren Rucksack", ergänzt ihr Mann lachend.
Oft werde er gefragt, was der Weg mit ihm mache und was passiere, wenn man wider Erwarten doch kein spirituelles Erlebnis beim Pilgern habe. Doch für ihn stelle sich viel eher die Frage: "Was mache ich aus dem Weg und was bin ich bereit, auf dem Weg wahrzunehmen?" Und, sagt Pius Löcher, es motiviere ihn, auf einer Route zu pilgern, auf der viele Menschen vor ihm teils schon über Jahrhunderte unterwegs waren - alle mit dem Wunsch, Gott zu begegnen.