Es ist schon eigentümlich, dass Familienfeiern im Fernsehfilm stets mit gegenseitigen Zerfleischungen enden. Lars Kraumes Drama hat zwar 2015 eine kurze und sehr überschaubare Kinoauswertung erlebt, ist aber im Wesentlichen mit TV-Geldern entstanden und im Fernsehen auch viel besser aufgehoben. Das Drehbuch von Andrea Stoll und Martin Rauhaus knüpft nahtlos an viele andere Geschichten dieser Art an.
Für Halmer ist der zynische Patriarch, dem es nicht nur die Söhne, sondern offenbar überhaupt niemand je recht machen konnte, eine Paraderolle, die er geradezu lustvoll bis zur bitteren Neige auskostet. Die weiteren Figuren sind dagegen etwas schlicht geraten und müssen sich mit jeweils einem Merkmal zufrieden geben: Gregor (Marc Hosemann) ist chronisch pleite und lässt sich stoisch erniedrigen, weil er 50.000 Euro Schulden hat; und das bei Menschen, die säumigen Schuldnern auch mal einen Finger brechen.
Max (Lars Eidinger) ist sichtbar krank, verrät das aber niemandem, und seltsamerweise fragt ihn auch keiner; eine Krankenschwester (Jördis Treibel) hat er gleich mitgebracht. Frederik (Barnaby Metschurat) ist schwul und führt seinen Freund in die Familie ein, was Westhoff für einige geschmacklose homophobe Scherze nutzt. Auch die Frauen bekommen kaum Tiefe: Renate ist eine Schnapsdrossel, Anne der gute Geist, der sich opfert, was die Kamera (Jens Harant) noch betont, wenn sie die Frau von oben herab betrachtet.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Trotzdem ist "Familienfest" unbedingt sehenswert: weil Grimme- und Filmpreisträger Kraume ("Guten Morgen, Herr Grothe"; "Der Staat gegen Fritz Bauer") sein Ensemble zu einer Leistung führt, die vergessen lässt, wie skizzenhaft die Charaktere sind. Koautor Rauhaus, Schöpfer der ARD-Freitagsreihen "Hotel Heidelberg" und "Anna und ihr Untermeiter" sowie Autor der ebenfalls im Auftrag der ARD-Tochter Degeto entstandenen "Allmen"-Krimis mit Heino Ferch, ist ohnehin ein begnadeter Dialogschreiber, weshalb die Bosheiten, die sich die Familienmitglieder an den Kopf werfen, erlesen sind.
Ähnlich liebevoll erdacht sind verschiedene Situationen, die zu gleich mehreren Eklats führen, weil die Westhoffs keine Schmähung auf sich sitzen lassen und natürlich jeder die wunden Punkte der anderen kennt. Schillerndste Figur ist dennoch der Patriarch, dessen Verachtung der Menschheit auch vor sich selbst nicht haltmacht; "Happy Birthday, Arschloch", beglückwünscht er sich kurz nach Mitternacht zum Geburtstag.
Natürlich ist das Muster nicht neu. Ganz ähnlich funktionierten zum Beispiel die mittlerweile mehrteilige Filmreihe, die Rainer Kaufmann seit "Das Beste kommt erst" (2009) für das ZDF gedreht hat, oder "Ein großer Aufbruch" (2015, ebenfalls ZDF) von Matti Geschonneck. Kraumes Tragikomödie geht jedoch noch einen Schritt weiter: Über weite Strecken ist "Familienfest" wie viele Komödien dieser Art zwar im Grunde ein Drama, aber komisch anzuschauen.
Das ändert sich schlagartig nach einer aus Westhoffs Sicht wenig erbaulichen Geburtstagsrede: Max erzählt die Fabel vom Skorpion, der einen Frosch bei der gemeinsamen Flussüberquerung ersticht und mit ihm ertrinkt; anschließend bricht er zusammen. Nun wird der Film zum tränenreichen Drama; und endlich erkennt die Ansammlung von Egomanen und Narzissten, was eine Familie stark macht.