Der Titel des Doku-Films ist Programm: "Insektenkiller - Wie Chemieriesen unser Ökosystem zerstören". In diesem facettenreichen französischen Film belegen Sylvain Lepetit, Miyuki Droz Aramaki und Sébastien Séga wie ein paar Chemiekonzerne mit ihren Insektiziden das Ökosystem zerstört haben. Weshalb sie damit bislang davongekommen sind, zeigt nur, wie exzellent ihre Lobbyisten ihren Job erledigt haben. Die erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit der Unternehmen erinnert an einen alten Witz von Otto Waalkes: "Die Wissenschaft hat festgestellt, dass Rauchen doch nicht schädlich ist. Gezeichnet Dr. Marlboro."
Die Firmen selbst kommen in dem Film nicht zu Wort, weil sie, wie ein Insert am Schluss mitteilt, dazu nicht bereit waren. Ihre Taten sprechen ohnehin für sich: Früher musste man bei längeren Autobahnfahrten regelmäßig die Windschutzscheibe von Insekten befreien; das ist heute nicht mehr nötig. Was die einen begrüßen mögen, ist für das Ökosystem der Anfang vom Ende: Weniger Insekten bedeutet weniger Fische, Frösche und Vögel, von den fehlenden Pflanzenbestäubern ganz zu schweigen. Deutsche Studien belegen, dass weltweit seit 1990 75 Prozent der wirbellosen Tiere ausgestorben sind.
Dabei schien es zunächst, als habe ein japanischer Bayer-Mitarbeiter Mitte der Neunzigerjahre mit den Neonicotinoiden eine ideale Lösung gefunden. Endlich war Schluss mit dem großflächigen Verspritzen von Gift, dessen Wirkung nicht nur rasch verpuffte, sondern auch Mensch und Tier gefährdete. Fortan wurde Saatgut mit einer Insektizidhülle umgeben; somit war die Pflanze perfekt geschützt. Allerdings wurden dabei zwei Fakten geflissentlich übersehen: Das Gift tötet nicht nur Schädlinge, sondern auch Nützlinge. Außerdem wird es ohne Umweg und Verluste in den natürlichen Kreislauf integriert, denn es bleibt der Pflanze über Monate erhalten und lässt sich weder durch Waschen noch durch Schälen entfernen; selbst Babys im Mutterleib nehmen es bereits in sich auf.
Weil dieses Insektengift außerdem wasserlöslich ist, sind der Verbreitung kaum Grenzen gesetzt. Als erstes sterben die Organismen in der Erde, als zweites die winzigen Tierchen in den nahen Gewässern; damit fehlt auch den Fischen die Nahrung. Die Ausführungen der Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Naturschutz lassen sich leicht belegen. Ein Landwirt vergleicht eine Handvoll Erde von einem konventionellen Acker mit dem Humus von einer naturbelassenen Fläche: hier ein totes Stück Lehm, dort ein Mikrokosmos voller Leben, der sich zudem durch diesen ganz speziellen typischen Geruch nach frischer Erde auszeichnet. Umgehend hält der Mann eine Eloge auf den Regenwurm, der dafür sorgt, dass die Erde fluffig ist und so das Regenwasser speichern kann.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Der Film ist ohnehin eine Hommage, vor allem an das zu Unrecht unterschätzte Kerbgetier. Gliederfüßler werden im Allgemeinen nicht als sexy erachtet. Klar, Bienen sind wichtig, Schmetterlinge sind schön, und das scheinbar chaotische Gewimmel eines Ameisenhaufens ist faszinierend; aber Kakerlaken oder Kellerasseln verursachen bei vielen Menschen in erster Linie Ekel. Das Regietrio zeigt, wie schillernd aus der Nähe betrachtet manche Käferarten sind, von der Nützlichkeit zum Beispiel des Kotbeseitigers Mistkäfer ganz zu schweigen. Aber nicht nur die mit sorgfältig ausgewählter klassischer Musik unterlegten Naturbilder sorgen dafür, dass der gut neunzig Minuten lange Dokumentarfilm viel mehr zu bieten hat als bloß redende Köpfe; witzige Zwischenspiele mit Küchenschaben und anderen Krabbeltieren, die sich in einer Playmobil-Installation tummeln, sorgen für originelle Abwechslung.
"Insektenkiller" ist Teil eines Arte-Themenabends. Um 21.50 Uhr folgt "Pestizide". Stenka Quillet beschreibt darin den Export und Re-Import von Pflanzenschutzmitteln, die bei uns zwar produziert, aber nicht verwendet werden dürfen. Zum Einsatz kommt das Gift stattdessen unter anderem in Brasilien; als Bestandteil von Orangen, Kaffee und Soja kehrt es wieder zu uns zurück.