Der Göttinger Angstforscher Borwin Bandelow ist überzeugt, der Krieg beschäftigt alle mehr oder weniger. "Es gibt Menschen, die beim Fernsehen umschalten, wenn das Thema Krieg behandelt wird", sagt der Professor an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Göttingen. Sie versuchten, das Thema auszuklammern und sich abzulenken. "Das ist aber nur die zweitbeste Methode, mit den Befürchtungen umzugehen", betont Bandelow.
"Besser ist es, sich genau zu informieren und die Sorgen mit der Familie oder Freunden zu besprechen." Vielen Menschen sei aktuell das Feiern vergangen. "Aber ich glaube, dass die Menschen kein schlechtes Gewissen haben müssen, wenn sie sich ihre Lebensfreude nicht nehmen lassen." Es sei zu befürchten, dass der Krieg noch viele Monate, vielleicht Jahre dauern und zu einer erschreckenden Normalität werden könne.
Der Intendant des Bremer Musikfestes, Professor Thomas Albert, sieht in der Musik vor allem in Krisenzeiten einen tiefen Trost. "Ich bin fest davon überzeugt, dass Musik den Menschen in einer ganzheitlichen Dimension erreicht und berührt", sagt der Violinist und Dirigent.
"In Zeiten wie diesen, die uns mit ihrer Nachrichtenflut zu überfordern droht, benötigen wir Inseln der Auszeit - für Momente der Entschleunigung, der Einkehr und des Kraftschöpfens." Albert hält es deshalb für naheliegend, dem Wunsch nach solchen Auszeiten nachzukommen. "Konzertbesuche ermöglichen das Abschalten und Eintauchen in Klangwelten, bei denen man sich treiben lassen kann und den eigenen Horizont erweitert", erläutert der Intendant des Musikfestes, das im Spätsommer mit mehr als 40 Konzerten in seine 33. Saison startet.
Menschen aktiv begegnen
"Musik als Live-Erlebnis kann Trost, Hoffnung und Kraft spenden. Bestenfalls kommt man aus dem Konzert als ein bereicherter und gestärkter Mensch heraus, der neue Kraft für die Bewältigung des Alltags geschöpft hat", so Albert.
Auch der Oldenburger Bischof Thomas Adomeit rät dazu, mit anderen über die eigenen Sorgen zu sprechen. "Angst und Sorge werden übermächtig, wenn man sie mit sich selbst ausmachen will", mahnt er.
"Und ich selbst kann auch nochmal bewusster darauf achten, wo ich Menschen begegne oder wo ich Menschen auch aktiv aufsuchen kann, von denen ich ahne, dass sie nur wenig oder gar keine sozialen Kontakte haben." Darin sehe er eine Aufgabe, nicht nur für Seelsorgerinnen und Seelsorger. Zudem könnten Seelsorge-Angebote in Kirchengemeinden oder die Telefon- oder Chatseelsorge helfen.
"Hoffnungsräume" behalten
"Nehme ich mir auch bewusst Zeit, um abzuschalten und aus meinem Gedankenkarussell herauszukommen?", sei eine wichtige Frage. "Gott hat uns auch eine Auszeit von aller Sorge und Fürsorge geboten: Er ruhte am siebten Tag, er segnete diesen Tag", fügt Adomeit an.
"In allen Ängsten auch auf das Leben zu sehen, die Natur wahrzunehmen, die sich gerade mächtig ins Zeug legt und mit frischen Farben, Düften und Tönen vom Leben erzählt, ist gut und richtig." Viele Menschen gingen auch zu Friedensgebeten oder suchen zum stillen Beten eine Kirche auf. "Immer geht es darum, die Hoffnungsräume zu behalten, damit die Sorgen sie nicht füllen."
Über Verunsicherung sprechen
Bei Kindern und Jugendlichen könne sich angesichts der omnipräsenten Berichterstattung über den Ukraine-Krieg die Angst wie eine Art "dunkle Decke" über den Alltag legen, sagt die Kinder- und Jugendpsychiaterin Eva-Maria Franck. Dann sei das Verhalten der Eltern und anderer wichtiger Bezugspersonen entscheidend, erläutert die Chefärztin der Fachklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Ameos Klinikum in Hildesheim. "Lassen sie sich von Informationen überfluten? Schweigen oder distanzieren sie sich und tun so, als sei alles wie immer? Haben Kinder die Möglichkeit über ihre Verunsicherung zu sprechen?"
Wichtig sei es, die mit den Ängsten einhergehende eigene Verunsicherung anzuerkennen, erläutert Franck. "Natürlich dürfen auch Erwachsene Verunsicherungen gegenüber ihren Kindern zeigen, gerade auch angesichts der wahrscheinlich geringen Praxis im Umgang mit solch zerstörerischen Bildern und Narrativen." Eltern könnten und müssten nicht alles können und wissen.
"Gleichermaßen aber sollten sie Zuversicht und Sicherheit vermitteln, sich der eigenen Selbstwirksamkeit versichern, konkret die Informationsflut begrenzen, sich positionieren und alltagsbezogen pragmatisch, vor dem Hintergrund, was aktuell zu tun ist, handeln." Dies sei keine einfache Aufgabe, weshalb auch Gesprächs- und Beratungsangebote für Eltern wichtig seien.