Nach langem Ringen haben die evangelische Kirche und ihr Wohlfahrtsverband eine gemeinsame Linie in der Debatte um eine mögliche neue Sterbehilfe-Regelung gefunden. In einer am 18. Mai veröffentlichten Mitteilung fordern Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und Diakonie ein Suizidpräventionsgesetz.
Prävention müsse allem anderen vorgehen, erklärte die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus. Gleichzeitig veröffentlichte die Diakonie ein Papier zu der Frage, ob Hilfe beim Suizid auch in kirchlichen Einrichtungen denkbar ist. Dies solle nur in Ausnahmen der Fall sein, heißt es darin. Damit weicht die evangelische Kirche aber dennoch von einer früheren strengeren Position ab.
Seit das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 das Verbot organisierter Suizidassistenz, wie sie etwa Sterbehilfeorganisationen anbieten, gekippt hatte, wurde in der evangelischen Kirche um eine neue Position gerungen. Der Konsens zwischen den unterschiedlichen Positionen kommt pünktlich zur Debatte im Bundestag über eine mögliche Neuregelung.
Umfangreiche Debatte
Kurschus appellierte an die Politiker, man müsse viel früher ansetzen, "wenn Menschen in einer für sie unerträglichen Lebenslage oder bei einer schweren Erkrankung einen Suizidwunsch äußern". Suizidprävention setze bereits weit vor einem assistierten Suizid an, ergänzte Diakonie-Präsident Ulrich Lilie. Dazu gehörten ein Aktionsplan sowie ein Netz von Präventions- und Krisendiensten, zudem mehr psychotherapeutische und psychosoziale Angebote.
Lilie hatte nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts dafür plädiert, Suizidhilfe auch in Einrichtungen der Diakonie nicht von vornherein auszuschließen. Damit hatte er eine Debatte in seiner Kirche entfacht, in der er auf Widerstand unter anderem beim damaligen EKD-Ratsvorsitzenden Bedford-Strohm stieß.
Ausnahme, nicht der Regelfall
Nach langem Diskussionsprozess gibt es nun eine Orientierungshilfe der Diakonie, die Hilfe beim Suizid nur in Ausnahmen in eigenen Häusern für möglich erklärt. "Der assistierte Suizid kann und darf - über den besonderen Ausnahmefall hinaus - nicht zur Regel werden", schreibt Lilie darin. Der assistierte Suizid sei "keine allgemeine Dienstleistung" und gehöre "nicht zum Leistungsspektrum diakonischer Dienste und Einrichtungen".
Das Papier hält es aber für denkbar, dass Mitarbeiterinnen und Betreuer diesen Weg eines Sterbewilligen begleiten, wenn der Suizid nicht abzuwenden ist. Damit schließt sie die Form der Sterbehilfe anders als die katholische Caritas nicht komplett aus. Diesen Kompromiss trägt die im November gewählte neue EKD-Ratsvorsitzende Kurschus offenbar mit, die für das Papier ein Vorwort geschrieben hat.
Kein klares Votum für Gesetzesvorschlag
Am 18. Mai debattiert erstmals in dieser Wahlperiode auch der Bundestag über Suizidassistenz. Bislang liegen drei Vorschläge aus dem Parlament vor. Einer plädiert für ein Verbot sogenannter geschäftsmäßiger Suizidassistenz, das zugleich Ausnahmen erlaubt. Zwei weitere stellen das Recht auf selbstbestimmtes Sterben in den Mittelpunkt und formulieren Bedingungen, unter denen ein tödlich wirkendes Medikament abgegeben werden soll.
Ein klares Votum für einen der Vorschläge gibt es von der evangelischen Kirche nicht. Auf dem Vorschlag der Gruppe für ein Verbot mit Ausnahmen könne man aufbauen, sagte der EKD-Bevollmächtigte in Berlin, Martin Dutzmann. Der Vorschlag enthält zusätzlich auch einen Antrag zur Suizidprävention. Die EKD befürwortet Dutzmann zufolge die Idee, erneut eine Regelung im Strafrecht vorzusehen.
EKD und Diakonie sehen bei allen Vorschlägen beim Thema Beratung Verbesserungsbedarf. Diese Angebote müssten flächendeckend aufgebaut und dauerhaft gesichert werden. Zudem müssten die Beratungsangebote auch für Angehörige, Verwandte und Mitarbeiter von Einrichtungen geöffnet werden, für die ein Suizid eine Belastung darstellen könne. "An dieser Stelle hat jeder der drei bisher im Bundestag vorliegenden Gesetzentwürfe zur Neuregelung des assistierten Suizids große Lücken", finden Kurschus und Lilie.