Thomas Langer und Bodo Ramelow sind Freunde. Thüringens Ministerpräsident und der Erfurter Rechtsanwalt treffen sich regelmäßig. Langers Kanzlei und Wohnung liegen einen Steinwurf entfernt von Ramelows Wohnung unweit des Erfurter Zentrums. Ramelows Ehefrau ist Taufpatin von Langers Sohn. Sie sprechen viel miteinander - nicht aber über den Amoklauf am Gutenberg-Gymnasium. "Das Thema klammern wir seit Jahren aus", sagt Langer.
Im April 2002 war seine damalige Lebensgefährtin, die Kunstlehrerin Birgit Dettke, eines der Opfer, die der Gymnasiast Robert Steinhäuser am Tag der letzten schriftlichen Abiturprüfungen ermordete. Steinhäuser war Monate zuvor ohne Abschluss von der Schule verwiesen worden, hatte seinen Eltern nichts davon gesagt. An jenem Freitag kehrte er mit zwei Waffen und Munition in seine Schule zurück. Innerhalb von 20 Minuten erschoss er 16 Menschen - elf Lehrer, eine Referendarin, eine Sekretärin, zwei Schüler und einen Polizeibeamten. Dann tötete er sich selbst. "Ich denke jeden Tag daran", sagt Langer.
Bodo Ramelow war zu diesem Zeitpunkt seit gut fünf Monaten Vorsitzender der PDS-Fraktion im Thüringer Landtag. Bis dahin verbanden sich mit seinem Namen vor allem Themen zu Arbeitnehmerfragen und sozialer Gerechtigkeit. Der Amoklauf von Erfurt brachte dem damaligen Oppositionsführer erstmals eine breitere bundesdeutsche Aufmerksamkeit. Denn früh hatte Ramelow auf Versäumnisse im Waffenrecht hingewiesen und Antworten auf offene Fragen verlangt. Woher stammten Waffen und Munition? Wie kann schulpsychologische Nachsorge organisiert werden? Wurde tatsächlich schnellstmöglich versucht, zu den Opfern vorzudringen?
Eng hatte Ramelow dabei mit Langer zusammengearbeitet. "Ich bin mit der Tat sehr früh konfrontiert worden, weil der Mann einer engen Gewerkschaftskollegin eines der Opfer war", sagt er heute. Und auch Birgit Dettke habe er gekannt. Aus dieser mittelbaren Betroffenheit sei dann die politische Aufarbeitung erwachsen. "Das hatte nichts mit Opposition und Regierung zu tun", sagt Ramelow heute.
Behördlicher Umgang mit der Tat enttäuscht
In einer spektakulären Pressekonferenz wies er Wochen nach der Tat nach, wie einfach es in Thüringen sei, an scharfe Munition zu kommen. Er brachte Patronen in den Landtag, legte sie vor den Journalisten auf den Tisch. Daraus ableitend forderte er eine Verschärfung des Waffengesetzes. "Wo der Täter lernte, mit seiner Waffe so gut zu schießen, konnte ich durch mein Vorgehen klären. Andere Fragen blieben offen", sagt Ramelow.
"Ich bin nicht wütend. Nicht auf die Tat. Oder den Täter. Damit kann ich umgehen", sagt Langer. Was ihn nach dem Amoklauf tief enttäuscht hat, ist der behördliche Umgang mit der Tat. Eine echte Aufklärung habe es nie gegeben, kritisiert er. Auf einen lückenhaften Erstbericht seien keine ernsthaften strafrechtlichen Ermittlungen mehr gefolgt. Der Täter war identifiziert, sein Weg durch das Schulgebäude nachvollzogen. Es sei gesagt worden, die Überlebenden, die Angehörigen der Opfer und die traumatisierten Mitschüler müssten zur Ruhe kommen.
Eine Kommission überprüfte 2004 noch einmal die Ermittlungsergebnisse, hörte Langer aber nicht an, obwohl er etwa 400 aus seiner Sicht offene Fragen zusammengetragen hatte. "Hier wurde der Rechtsstaat auf den Kopf gestellt", sagt Langer. Immer mal wieder wischt er sich mit der Hand über die Augenwinkel.
"Ich werfe ihm da nichts vor", sagt Langer über Ramelow. Der heutige Ministerpräsident habe irgendwann einmal Tatort-Film und -Fotos gesehen: "Danach war er fertig. Er konnte emotional nicht mehr." Ramelow bestätigt das. Er habe sich nach Monaten intensivster Beschäftigung mit diesem Amoklauf irgendwann selbst psychologische Hilfe holen müssen. Die Zeit habe - für ihn wie für viele anderen - die meisten Wunden geheilt. An den Tag zurückdenken werde auch er immer wieder.