Sie arbeiten derzeit von Berlin aus. Wann haben Sie Kiew verlassen?
Felix Schimansky-Geier: Ich bin Mitte Februar mit meiner Familie in die West-Ukraine gereist. Am 24. Februar wurde ich dort um fünf Uhr wach und sah auf Twitter, dass die russische Invasion begonnen hat. Zugleich hörten wir Geräusche von Raketen, die wohl einem Militärflughafen in der Nähe galten. Nach einer 36-stündigen Autofahrt erreichten wir dann die polnische Grenze.
Sind noch deutsche Friedensfachkräfte in der Ukraine?
Schimansky-Geier: Bisher waren es 13, entsandt von drei deutschen Organisationen des Zivilen Friedensdienstes. Derzeit sind alle evakuiert.
Welche Aufgaben hatten die Fachkräfte bisher?
Schimansky-Geier: Wir arbeiten immer mit lokalen Partnern zusammen. Zum Beispiel haben wir unsere ukrainische Partnerorganisation dabei unterstützt, Menschenrechtsverletzungen im Osten des Landes zu dokumentieren, objektiv und unabhängig. Denn detaillierte Daten, die das Leid der Zivilbevölkerung deutlich machen, sind unabdingbar für jeden künftigen Dialog und jede Versöhnung. Eine multimediale Ausstellung zu diesem Thema war in den vergangenen zwei Jahren an mehr als 30 Orten in der gesamten Ukraine zu sehen - in Schulen und Rathäusern, in Kulturhäusern, auf Marktplätzen und in Kirchen.
"Die Partnerorganisationen setzen ihre Arbeit fort - meist von Standorten in der Westukraine"
Und weitere Beispiele?
Schimansky-Geier: Mit Workshops und Trainings haben wir zivilgesellschaftliches Engagement und konstruktive Konfliktbewältigung gestärkt. Wir haben Polizeikräfte geschult, damit sie in Stress-Situationen ruhig und besonnen reagieren. Ein weiterer Schwerpunkt war, Menschen bei der Bewältigung traumatischer Erlebnisse zu unterstützen.
Was bleibt von dieser Arbeit angesichts von Krieg und Flucht?
Schimansky-Geier: Die Bildungs- und Informationsarbeit mit den Menschen vor Ort ist nicht verloren. Und vieles geht auch jetzt weiter. Denn die ukrainischen Partnerorganisationen setzen ihre Arbeit ebenfalls fort, meist von Standorten in der Westukraine. Sie koordinieren humanitäre Hilfe, bieten psychosoziale Hilfe, stellen geprüfte Informationen zur Verfügung. Dabei können wir ihnen helfen.
"Der Bund finanziert den Zivilen Friedensdienst derzeit mit 55 Millionen Euro im Jahr"
Gibt es Beispiele, wie sich die ukrainische Bevölkerung ohne Gewalt gegen das russische Militär zur Wehr setzt?
Schimansky-Geier: Wir haben gesehen, wie ukrainische Bauern mit ihren Traktoren russische Panzer wegschleppen. Oder wie sich eine Menschenmenge russischen Militärfahrzeugen entgegenstellte, die daraufhin umkehrten. Im Norden der Krim, im Oblast Kherson, demonstrieren fast täglich unbewaffnete Ukrainer gegen die russische Besetzung.
Das ist kein landesweiter, systematischer Protest, wie er im Konzept sozialer Verteidigung vorgesehen ist. Doch auch solche spontanen Aktionen vor Ort zeigen den Angreifern: Ihr seid nicht willkommen. Damit hatten die russischen Kräfte offenbar nicht gerechnet. Wahr ist aber auch: Ukrainische Aktivisten werden eingeschüchtert, bedroht, verschleppt. Wir unterstützen gewaltfreien Widerstand, wo immer er möglich ist. Trotzdem sollen sich Menschen dadurch nicht selbst in Lebensgefahr bringen.
Für die militärische Auseinandersetzung werden derzeit Milliardensummen bewegt. Wie sieht es dagegen bei der zivilen Konfliktbearbeitung aus?
Schimansky-Geier: Für den Zivilen Friedensdienst sind deutsche Fachkräfte in mehr als 40 Ländern tätig. Der Bund finanziert das mit 55 Millionen Euro im Jahr. Wenn dieser Betrag auch nur auf eine Milliarde aufgestockt würde: Es wäre ein Meilenstein und weitaus nachhaltiger als der alleinige Fokus auf die militärische Dimension.
Wann werden Sie in die Ukraine zurückkehren?
Schimansky-Geier: Noch in diesem Jahr, hoffe ich. Aber das liegt am Fortgang des Krieges. Auf kurze Zeit ist kein Waffenstillstand in Sicht.