Herr Landesbischof, Ihre Amtszeit war in den letzten beiden Jahren durch die Corona-Pandemie geprägt. Wie hat das die Kirche verändert?
Jochen Cornelius-Bundschuh: Die evangelische Kirche lebt davon, dass sie sich vor Ort zeigt: in Gemeinden, Kliniken, Heimen, Schulen und Kitas. In der Pandemie den Menschen deutlich zu machen, hier gibt es Trost und Halt und eine Begleitung auf dem Lebensweg, das war eine große Herausforderung, weil der leibhaftige Kontakt kaum möglich war. Aber die vielen Engagierten in unserer Kirche haben ganz schnell neue Wege gefunden. Trotzdem befürchte ich, dass zum Beispiel manche, die jetzt zwei Jahre nicht mehr in Gottesdienste gegangen sind, das auch künftig nicht mehr tun. Dass Menschen selbst an Weihnachten das Gefühl haben: Es geht auch ohne den Gottesdienst.
Wo sehen Sie diesen Effekt noch?
Cornelius-Bundschuh: Wir werden genau hinschauen, was diese Veränderungen nicht nur für die volkskirchliche Bindung, sondern auch für das Miteinander insgesamt bedeuten. Viele Menschen, auch wenn sie nicht so kirchlich engagiert waren, haben ihren Glauben und ihre christlichen Überzeugungen mit einer hohen Verlässlichkeit nach dem Motto gelebt: "Das geben wir auch an unsere Kinder weiter".
"Menschen verlassen die Kirche, weil sie nichts mehr damit verbinden"
Das könnte sich mit Corona weiter verändern, denn es passt zu der allgemeinen Kritik an Institutionen, von denen man denkt, sie wollten einem etwas vorschreiben. Und es trifft sich mit einer Tendenz zur Gleichgültigkeit gegenüber Glaubensfragen. Das zeigt sich auch bei den Austritten: Menschen verlassen die evangelische Kirche nicht, weil sie etwas Bestimmtes stört oder sie sich bewusst gegen den Glauben wehren; vielmehr verbinden sie damit nichts, fragen sich, was ihnen der Glaube nützt.
Was müsste die Kirche tun, dass sie wieder neu belebt wird?
Cornelius-Bundschuh: Durch Corona, aber auch angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine, spüren Menschen, dass sie nicht alles in der Hand haben und steuern können. Es gibt eine große Unsicherheit, die viele, gerade auch junge Leute, belastet. Viele von ihnen stellen sich dieser Hilflosigkeit und fragen nach dem Sinn des Lebens und danach, was sie in all den Schrecken trägt.
"Gelebter Glaube, der im Alltag mit Kopf, Herz und Hand lebendig ist"
Wir haben als Kirche eine zentrale Botschaft: "Fürchte dich nicht!". Von der müssen wir reden, mit ihr müssen wir präsent sein und Menschen zeigen, wie hilfreich dieser Glaube ist und wie wichtig die Kirche dafür ist, ihn weiterzugeben und sich gegenseitig zu stützen. Das muss sich in allen Bereichen unserer Arbeit zeigen. Darum geht es in den Aufbruchsprozessen, in denen wir gerade stecken.
Manche sagen: "Ich glaube, aber dafür brauche ich doch keine Kirche." Aber das ist wie beim Sport oder bei den Umgangsformen. Wenn ich sie nicht pflege, wenn ich nicht darauf achte, wenn Gott nur noch irgendetwas ist und sich nicht mit den Geschichten vom Auszug aus der Sklaverei, dem verlorenen Sohn oder barmherzigen Samariter verbindet, verblasst er, bis er verschwunden ist. Das kann man in anderen Ländern wie Estland, aber auch in manchen Gebieten Deutschlands sehen. Schon die Nazis haben versucht, Menschen den Glauben auszutreiben, dann kam die SED. An manchen Orten wurde auf dieses Weise 50, 60 Jahre Unkirchlichkeit eingeübt.
Eines Ihrer Vorhaben war es, Kindertagesstätten zu Familienzentren auszubauen…
Cornelius-Bundschuh: Die Selbstverständlichkeit, mit der man früher in der Kirche war, erreicht man nicht nur durch gute Argumente, sondern durch gelebten Glauben, der im Alltag mit Kopf, Herz und Hand lebendig ist. Kindertagesstätten und Religionsunterricht halte ich dafür für einen Schlüssel. Hier kommen wir als Kirche eng in Kontakt mit Menschen. Sie merken, da passiert etwas Wichtiges und Gutes. Das ist wichtig. Leider kommen wir langsamer voran, als ich erhofft hatte. So ein Familienzentrum kann zum Mittelpunkt einer Gemeinde werden, aber es kostet eben auch Geld. Deshalb braucht es oft langwierige Verhandlungen zwischen Kommunen und Trägern. Trotzdem ist das der richtige Weg.
"Ich hoffe, dass der Bundestag einen Ablösungsvertrag beschließt"
Was ist in Ihrer Amtszeit auf dem Gebiet der Ökumene passiert?
Cornelius-Bundschuh: Wir haben die Ökumene weiter vertieft. Nicht nur zwischen evangelischer und katholischer Kirche, sondern auch mit den internationalen Gemeinden bei uns und auch mit unseren Partnerkirchen zum Beispiel in Nigeria, die massiv unter Verfolgung leiden und auf unsere Unterstützung angewiesen sind. Es ist ein großer Erfolg, dass es uns gelungen ist, die Vollversammlung des Weltkirchenrats nach Karlsruhe zu holen.
Wie sieht es mit dem Verhältnis von Kirche und Staat aus? Was wird aus dem Staatskirchenvertrag?
Cornelius-Bundschuh: Ich hoffe, dass der Bundestag in dieser Legislatur einen Ablösungsvertrag zu den Staatsleistungen beschließt und die Länder das dann zügig umsetzen. Viele Jahrhunderte haben sich die Kirchen in erster Linie im Gegenüber zum Staat verstanden. Doch durch die Demokratisierung hat die Zivilgesellschaft an Gewicht gewonnen. Menschen wollen ihr Leben selbst in die Hand nehmen, setzen sich selbstbewusst für die Werte ein, die ihnen wichtig sind.
Das zeigt sich auch in den Kirchen. Wir sehen uns inzwischen stärker als Teil der Zivilgesellschaft. Wir kooperieren mit anderen Akteuren und bringen in dieses Miteinander unsere besondere Perspektive ein: Jeder Mensch ist von Christus geliebt und deshalb einzigartig und frei. Das relativiert alle menschlichen Machtansprüche. Das verbindet uns über alle Unterschiede hinweg, mutet uns aber auch ein Miteinander mit Fremden, ja selbst mit Feinden zu.
"Kirche sollte ein Ort sein, wo Menschen das Gefühl haben: Hier kann ich kommen wie ich bin"
Wir sind Teil der Zivilgesellschaft, aber wir haben etwa in Baden mit einer Million Mitglieder zugleich ein besonderes Gewicht und eine besondere Verantwortung. Wir haben das Ganze im Blick, nicht nur ein Themenfeld oder ein Problem. Wir wollen Gespräche eröffnen und Menschen verbinden.
Gelingt es der Kirche, die Spaltung der Gesellschaft aufzuhalten?
Cornelius-Bundschuh: In der Flüchtlingskrise 2015 hat die Kirche viel dazu beigetragen. Wir haben, so wie jetzt angesichts der Flüchtlinge aus der Ukraine, dazu frühzeitig mit den Kommunen zusammengearbeitet. Der Umgang mit Flüchtlingen wurde und wird als Ausdruck der christlichen Nächstenliebe verstanden. Das war breit akzeptiert, nur sehr wenige Menschen sind wegen dieses Engagements aus der Kirche ausgetreten.
Im Blick auf Corona ist das schwerer. Wir haben noch kaum Wege gefunden, auch mit Impfgegnern oder gar Corona-Leugnern ins Gespräch zu kommen. Aber auch da würde ich sagen: Kirche sollte ein Ort sein, wo Menschen das Gefühl haben, sie können so kommen, wie sie sind. Hier wird nicht aussortiert.
Haben Sie einen Wunsch an Ihre Nachfolgerin?
Cornelius-Bundschuh: Ich wünsche Heike Springhart, dass sie als Bischöfin ihre Fröhlichkeit und ihre Kraft behält. Es ist ein Dienst, der sehr bereichernd ist, für den sie aber auch viel Kraft und Konzentration brauchen wird.
Welche Pläne haben Sie für den Ruhestand?
Cornelius-Bundschuh: Nichts Großes. Meine Frau ist noch berufstätig, da bin ich Pfarrmann und für die Versorgung zuständig. Außerdem habe ich Enkel. In Heidelberg halte ich weiter Lehrveranstaltungen. Zudem spiele ich wahnsinnig gern Fußball. Ich habe mir fest vorgenommen, wieder in einer Altherrenmannschaft zu spielen.