Schon der knapp zweiminütige Trailer zu "Luzifer" ist nichts für schwache Nerven. Die Tiroler Berg-Idylle wird abwechselnd von Dunkelheit und Nebel überschattet, die Atmosphäre ist beklemmend, eine Stimme aus dem Off fragt immer wieder "Wo ist der Teufel?"
Die Stimme gehört zu Susanne Jensen. Die Pastorin aus Owschlag bei Rendsburg spielt die weibliche Hauptrolle in dem Horrorfilm. Zu der Rolle der streng gläubigen Maria, die mit ihrem Sohn abgeschieden auf einer Alm lebt, kam die 58-Jährige wie die Jungfrau zum Kind. Der österreichische Regisseur Peter Brunner bot ihr die Rolle im Mai 2019 überraschend per E-Mail an. Er war über die Social-Media-Plattform Instagram auf die Pastorin aufmerksam geworden.
"Ich wusste gar nicht, wie mir geschah. Den Namen Peter Brunner musste ich erstmal googlen", sagt Jensen. Auch den aufstrebenden Schauspieler Franz Rogowski kannte sie nicht. In dem Film sollte sie seine Mutter spielen.
Schauspielerfahrung hatte Jensen keine. Seit ihrer Kindheit schaut sie aber gern Filme. Besonders Western wie "High Noon" (1952) mit Gary Cooper. Außerdem war sie großer Marilyn-Monroe-Fan. "Hollywood-Filme eröffneten mir immer eine Traumwelt, in die ich abtauchen konnte", erinnert sich die Pfarrerin.
Eine Traumwelt, die sie zumindest für kurze Zeit von der schrecklichen Realität ablenken konnte. Bereits im Kleinkindalter wurde Jensen von ihrem Vater sexuell missbraucht. Bis heute kämpft sie mit den Folgen. Die Theologin ist trockene Alkoholikerin und kämpft gegen Magersucht. Ihren Kopf rasiert sie jeden Tag kahl, weil ihr Vater sie immer an den Haaren zog. Sie ist am ganzen Körper tätowiert.
Ihre Geschichte hat Jensen in zahlreichen Zeitungsartikeln und Fernsehdokumentationen öffentlich gemacht. Auf ihrem Instagram-Account zeigt sie selbst gemalte Bilder, in denen sie ihre Geschichte verarbeitet.
Die Rolle der brüchigen Maria in Brunners Film "Luzifer" ist ihr wie auf den Leib geschneidert - gleichzeitig habe sie die Rolle auch sehr beeinflusst, sagt Jensen. Sie habe die Figur quasi fertig geschnitzt. "Die Art, wie die Maria in dem Film betet, stammt von mir." Eine Parallele zu ihr sei auch, dass die Alkoholikerin Maria in ihrem Glauben Kraft findet, nicht zu trinken.
Außerdem war es Jensen wichtig, kirchliche Lieder wie "Ubi caritas" in dem Film zu singen. Für die Produktion musste die Pastorin Keyboard spielen lernen. Im September und Oktober 2019 flog sie zu den Dreharbeiten nach Tirol. Die Höhenluft auf 2700 Metern sei eine Herausforderung gewesen. Genauso wie die Kälte. "Bei vier Grad Celsius im Tank Top, das war Hardcore", sagt Jensen.
Auf das Ergebnis ist sie sehr stolz. "Luzifer" sei alles andere als ein klassischer Horror-Exorzisten-Streifen. Stattdessen sei der Film hochaktuell. Der Zuschauer werde hineingenommen in eine wunderschöne Welt, die gebrochen ist. "Die Sucht bedroht die Maria von innen, und Eingriffe in die Natur bedrohen die Welt von außen", sagt Jensen. Die heile Natur, in die sich Maria mit ihrem geistig behinderten Sohn Johannes zurückgezogen hat, soll einem Skigebiet weichen. Maria sieht ihr Paradies von bösen Mächten gefährdet.
Jensen wurde für ihre Leistung bereits im Oktober 2021 bei dem Fantasy-Film-Festival in Sitges bei Barcelona für die beste weibliche Hauptrolle ausgezeichnet. Der Preis - eine Gorilla-Statue - steht bei ihr im Wohnzimmer. Kürzlich gewann "Luzifer" zudem den "Best Feature Film Award" beim "Pendance Film Festival" im kanadischen Toronto. Jensen wünscht sich, dass viele Menschen das Werk sehen, es vielleicht zum Kultfilm wird. So wie "High Noon" mit Gary Cooper.
"Luzifer" wird bereits am 1. April um 16 Uhr beim Fantasy Filmfest in Hamburg gezeigt. Karten im Internet unter https://fantasyfilmfest.com/luzifer/