Herr Landesbischof, nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine erhöht Deutschland die Militärausgaben. Halten Sie das für angemessen?
Jochen Cornelius-Bundschuh: Ich glaube, es ist zunächst einmal ein Versuch, sich im Krieg als politisch handlungsfähig zu zeigen. Nach dem Krieg wird man noch einmal neu nachdenken müssen. Russland wird geschwächt aus dem Krieg hervorgehen, selbst wenn es ihm gelingt, die Ukraine zu besetzen; es wird sehr stark abhängig sein von China. Dann wird die Frage sein, wie eine zukünftige internationale Ordnung aussehen kann. Da geht es um viel mehr als um Rüstung und Militär. Da geht es um eine verbindliche internationale Rechtsordnung bis dahin, dass endlich klar ist, dass politische Akteure, die Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen, vor dem internationalen Strafgerichtshof zur Verantwortung gezogen werden.
Worum geht es noch?
Cornelius-Bundschuh: Es geht um die Werte, die in diesem Krieg mit Füßen getreten werden: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenwürde, die Stärkung der Zivilgesellschaft. Das Militär kann helfen, dem Bösen zu wehren, aber damit diese Werte Gewicht gewinnen, braucht es viel mehr, auch an Begegnungen der Zivilgesellschaft, an verbindlichen rechtlichen Absprachen.
Außerdem müssen sich alle, die jetzt diese 100 Milliarden Euro in die Hand nehmen und das Zwei-Prozent-Ziel bei den Verteidigungsausgaben durchsetzen, überlegen, wie sich das mit dem Klimaschutz und der sozialen Gerechtigkeit vereinbaren lässt. Jetzt geht es darum, den Krieg möglichst schnell zu stoppen. Nach dem Krieg aber müssen alle vier großen Fragen zum Überleben der Menschheit gemeinsam angegangen werden: der Frieden, der Klimaschutz, die globale soziale Gerechtigkeit und die persönlichen und sozialen Rechte der Menschen, ihren Weg selbst zu bestimmen.
Sie sehen Waffenlieferungen an die Ukraine kritisch?
Cornelius-Bundschuh: Ja, ich sehe sie eher skeptisch, weil ich aus meinem Glauben grundsätzlich einen Vorrang für zivile und diplomatische Wege sehe. Waffen und militärische Gewalt führen nicht zum Frieden; sie können nur helfen, dem Bösen zu wehren. Andererseits ist die Ukraine überfallen worden; sie hat ein Recht, sich zu verteidigen. Dazu braucht sie Waffen. Da kann ich nicht sagen: Hört auf, euch zu verteidigen! Für mich ist die entscheidende Frage: Helfen die Waffenlieferungen, diesen Krieg möglichst zügig zu beenden oder wenigstens zu einem dauerhaften Waffenstillstand zu kommen? Oder heizen sie ihn an und erschweren eine schnelle diplomatische Lösung?
"Waffen und militärische Gewalt führen nicht zum Frieden; sie können nur helfen, dem Bösen zu wehren."
Welche Rollen können die Kirchen spielen?
Cornelius-Bundschuh: Den orthodoxen Kirchen in Russland und der Ukraine kommt eine Schlüsselrolle zu. Die russisch-orthodoxe Kirche hat viele Gemeindeglieder in der Ukraine. Während der Moskauer Patriarch Kyrill, der als Vertrauter Putins gilt, bisher den Einmarsch der russischen Armee verteidigt, hat sein in Kiew ansässiger Metropolit ebenso wie die eigenständige ukrainisch-orthodoxe Kirche den Überfall als die Sünde von Kain und Abel, also als Brudermord bezeichnet und ein sofortiges Ende des Krieges gefordert.
Auch andere Kirchen in Russland und auch viele russisch-orthodoxe Priester haben sich gegen den Krieg positioniert. Die Zivilgesellschaft in Russland, auch die Kirchen sind sehr bedrängt, aber eine wichtige Größe, um zum Frieden kommen. Deshalb müssen wir auch mit ihnen im Gespräch bleiben, etwa im Weltkirchenrat oder über den Vatikan. Sie aus dem Ökumenischen Rat auszuschließen, dem etwa 350 Kirchen weltweit angehören, würde eine weitere Gesprächsebene verbauen, auch wenn wir am Ende nicht wissen, ob solche Gespräche etwas nützen.
Und die Kirchen in Deutschland?
Cornelius-Bundschuh: Mir ist aber auch unser Handeln hier wichtig: In unseren badischen Orten und Gemeinden leben schon lange viele Russlanddeutsche und andere Menschen aus der Kriegsregion, auch Ukrainer. Ihnen sollten wir als Kirchen Gesprächsangebote machen und sie beispielsweise gezielt zu unseren Friedensgebeten einladen. Das wäre auch ein Zeichen: "Seht, es geht doch zusammen."