Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine treffen in Deutschland auf eine Willkommenskultur. Laut einer am Freitag vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) veröffentlichten Umfrage unter knapp 2.500 Bürgern sind mehr als 90 Prozent dafür, Flüchtende aus der Ukraine in Deutschland aufzunehmen. Von großer Unterstützung berichten auch Helfer.
"Die Solidarität und Hilfsbereitschaft sind enorm", sagte Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa der "Passauer Neuen Presse" (Freitag). Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) dankte den vielen Helfern, die derzeit unter anderem an Bahnhöfen Flüchtlinge versorgen und Unterkünfte vermitteln. "Der Aggression und der Zerstörung, den Schmerzen und dem Leid setzen wir Mitgefühl, Solidarität und praktische Hilfe entgegen", erklärte sie.
Der Umfrage des DeZIM zufolge kann sich mehr als die Hälfte der Befragten vorstellen, für die Vertriebenen Geld zu spenden oder sich ehrenamtlich für sie zu engagieren. Ein Viertel sei bereit, geflüchtete Menschen aus der Ukraine vorübergehend im eigenen Zuhause aufzunehmen. "Die hohe Willkommensbereitschaft erinnert an die historischen Tage der Willkommenskultur im Sommer 2015, als vor allem aus Syrien viele Menschen in Deutschland Zuflucht suchten", sagte die Direktorin Instituts, Naika Foroutan.
Aus Erfahrungen von 2015 gelernt
Die Osnabrücker Migrationsforscherin Helen Schwenken ist davon überzeugt, dass das Land aus den damals gemachten Erfahrungen gelernt hat. Staat, Kommunen und zivilgesellschaftliche Organisationen reagierten heute viel schneller und professioneller als damals, sagte die Direktorin des Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien. "Damals lief die Hilfe erst an, als die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien auf den Bahnhöfen ankamen. Diesmal waren Unterkünfte und Hilfsgüter vorbereitet, noch bevor überhaupt ein Ukrainer hier war."
Bislang gibt es keine zuverlässigen Zahlen über die seit Kriegsbeginn aus der Ukraine eingereisten Menschen. Die Bundespolizei hat nach Angaben des Bundesinnenministeriums bis Freitag fast 18.500 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine festgestellt. Da es an den deutschen Grenzen keine Kontrollen gibt und die Bundespolizei maximal stichprobenartig kontrolliert, liegt die Zahl der bereits in Deutschland angekommenen Flüchtlinge aber voraussichtlich weit höher. Das UNHCR meldet inzwischen 1,2 Millionen Vertriebene, fast 650.000 von ihnen sind derzeit in Polen.
Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) sieht in der Aufnahme der Kriegsflüchtlinge eine Aufgabe nationaler Tragweite. "Logistik, Verteilung und Finanzierung ist eine gemeinsame, nationale Anstrengung", sagte Giffey am Donnerstagabend nach einem Besuch des Flüchtlingssammelpunkts im Berliner Hauptbahnhof und einer Notunterkunft. Sie forderte Unterstützung vom Bund. Die Aufnahme und Unterbringung der Flüchtlinge könne kein Bundesland und keine Kommune alleine lösen.
Caritas: Längerfristige Unterbringung bedenken
"Die Solidarität und Hilfsbereitschaft sind enorm", sagte Welskop-Deffaa (Caritas). "Es melden sich unheimlich viele Privatpersonen in ganz Deutschland, die anbieten, Menschen bei sich aufzunehmen". Vielerorts seien auch Kapazitäten für eine Notunterbringung vorhanden. Welskop-Deffaa stellte die Frage, wie die Menschen aus der Ukraine längerfristig untergebracht werden. "Nach der temporären Unterbringung wird sich die Frage ganz anders stellen", sagte sie. Es fehle gravierend an erschwinglichem Wohnraum.
Auch die Migrationsforscherin Schwenken forderte, vorausschauend mit der Lage umzugehen. Die Soziologin warnte vor Konflikten, gerade mit Blick auf die seit Jahren in Deutschland lebenden Menschen mit russischen Wurzeln. Es gebe durchaus einen antirussischen Rassismus, der weniger thematisiert werde. "Vor allem die Schulen und andere Bildungseinrichtungen sind jetzt gefragt, früh gegenzusteuern."
Die Empathie für die Geflüchteten aus der Ukraine ist nach Schwenkens Beobachtung ähnlich groß wie 2015 für die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien. Aufgrund der relativ großen ukrainischen Community in Deutschland, die rund 250.000 Personen umfasse, gebe es allerdings mehr familiäre Beziehungen. Auffällig sei, dass osteuropäische Länder wie Ungarn und Polen jetzt eine große Aufnahmebereitschaft zeigten, während sie damals syrische, afghanische oder afrikanische Flüchtlinge strikt abgelehnt hätten. "Da zählt offenbar sehr die von ihnen wahrgenommene historisch-kulturelle Nähe."
Deutlich werde das auch daran, dass Flüchtlinge anderer Nationen aus der Ukraine an den Grenzen oder schon vorher häufig zurückgewiesen würden. Sie wisse etwa von indischen, nigerianischen oder nepalesischen Studierenden, die noch in der Ukraine daran gehindert wurden, in Züge Richtung Westen einzusteigen. Derzeit seien Vertreter zahlreicher Länder etwa an der polnisch-ukrainischen Grenze unterwegs, um ihre Staatsangehörigen aus der Krisenzone zu bringen: "Sie sagen den jungen Menschen, sie müssten es zu Fuß über die Grenze zu Polen schaffen. Dann würden sie in ihre Heimatländer gebracht."