Der Marsch durch die Institutionen ist gelungen. Als die Evangelische Vereinigung "Offene Kirche" (OK) am 8. Juli 1972 gegründet wurde, stand sie vor allem in Opposition zu einer theologisch konservativen Mehrheit in den leitenden Gremien der württembergischen Landeskirche. Inzwischen ist die OK selbst mächtige kirchenpolitische Akteurin und stellt mit 31 Sitzen sogar den stärksten Gesprächskreis in der Landessynode.
Entstanden ist die Gruppierung aus dem Geist der 68er-Bewegung: Demokratisierung, Friedensengagement, Gleichstellung von Frauen und Homosexuellen in der Kirche, Bewahrung der Schöpfung, soziale Gerechtigkeit - diese Themen spielten in den Gründerjahren eine Rolle, und sie sind heute noch aktuell.
So kämpft der Gesprächskreis in der Landessynode weiterhin dafür, rechtliche Unterschiede zwischen heterosexuellen und homosexuellen Paaren zu beseitigen, wo es um die kirchliche Trauung geht.
Vorausgegangen waren der Gründung Zusammenschlüsse wie die "Kritische Kirche" (1968) und die "Aktion Synode 71". Inhaltlich ging es den Initiatoren vor allem darum, die Evangelische Landeskirche in Württemberg für neuere theologische Ansätze zu öffnen, etwa für die "Entmythologisierung" der Bibel im Sinne Rudolf Bultmanns. Darum tobte in jenen Jahren ein heftiger Streit. Pietistische Kreise warnten vor dieser Theologie aus Sorge, sie würde das Vertrauen in die Heilige Schrift als Wort Gottes erschüttern. Die Drohung des Auswanderns der theologisch Konservativen stand im Raum, von Kirchenspaltung war die Rede.
Mit harten Bandagen
Sprachlich waren die Auseinandersetzungen jener Jahre selten von einem warmherzigen Geist geprägt. "Die Mehrheitsgruppe empfanden wir als arrogant, manchmal gewalttätig", schrieb die Leonberger Synodalin Anne-Lore Schmid zum 25-jährigen Bestehen der OK. Fritz Röhm wiederum, einer der Gründerväter der OK, belegte die evangelikale Bekenntnisbewegung "Kein anderes Evangelium" in einem Rückblick mit dem Begriff "militante Abwehrformation".
Aus dem Gegeneinander der Gründerzeit ist inzwischen ein Miteinander geworden. Der Ton in der Landessynode klingt heute freundlich-verbindlich. Viele Synodale der theologisch konservativen "Lebendigen Gemeinde" und der "Offenen Kirche" duzen einander. Bei der Besetzung kirchenleitender Ämter wird darauf geachtet, die verschiedenen Gesprächskreise angemessen zu berücksichtigen.
Mehr Macht fürs Parlament
Die friedliche Koexistenz bedeutet allerdings nicht, dass die OK von ihren Programmpunkten Abstriche gemacht hat. Sie hat zwar in der Vergangenheit auch dem einen oder anderen Kompromiss zugestimmt, ohne dabei jedoch ihr inhaltliches Profil zu verwischen. Das zeigt sich etwa bei ihrem Umgang mit der Kirchenverfassung. Noch vor der jüngsten Kirchenwahl 2019 forderte die OK, synodale Gesprächskreise sollten Verfassungsrang bekommen und der Oberkirchenrat durch die Landessynode kontrolliert werden. Dazu soll es kleine und große Anfragen sowie die Möglichkeit von Untersuchungsausschüssen geben. So viel "weltlicher" Parlamentarismus geht einem Großteil der anderen Synodalen allerdings viel zu weit.
Die Stärke in der Synode gibt der OK bei der bevorstehenden Bischofswahl am 17. März eine Sperrminorität. Da eine Person nur Bischof werden kann, wenn sie zwei Drittel der 91 synodalen Stimmen auf sich vereinigt, kann die OK jeden Kandidaten verhindern. Das alleine ist ein Erfolg, von dem die Gründergruppe vor 50 Jahren nur träumen konnte.
Gefeiert wird das halbe Jahrhundert am 21. Januar gemeinsam mit der Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Anna-Nicole Heinrich, sowie Viola Schrenk, OK-Kandidatin für das württembergische Bischofsamt. Die beiden Rednerinnen werden den Angaben zufolge im Stuttgarter Hotel Silber über die Aufgabe und Verantwortung der Kirche für die sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft sprechen.