Die Farbe Blau fasziniert Künstler seit jeher: Blau kann ein Mysterium sein, eine Ahnung des Geheimnisses des unsichtbaren Gottes. Blau kann die Farbe der Poesie sein und des Himmels, der Hoffnung oder des Wassers, das doch nicht blau ist.
David Kremer, Geschäftsführer von Kremer Pigmente im schwäbischen Aichstetten, hat sich der Magie der handwerklichen Farbherstellung nach alten Rezepturen verschrieben. Rohstoffe aus aller Welt werden in seiner Farbmühle verarbeitet: etwa 200 Gesteinsarten, Mineralien und Erden, auch Knochen, Muschelschalen und etwa 50 Pflanzen. Daraus entstehen Pigmente für die Farben und Farbnuancen, die Restauratorinnen und Restauratoren, Künstlerinnen und Künstler verarbeiten.
Er zeigt ein simples Beispiel: Ein Pinsel fährt mit industriell hergestelltem Ultramarinblau über einen grauen Untergrund. Vom Untergrund ist fast nichts mehr zu sehen, ein einmaliger Farbauftrag macht alles dicht.
Anders bei Ultramarinblau, das aus pulverisiertem Lapislazuli hergestellt ist: Es wirkt durchscheinend, die Farbschichten sind immer fürs Licht durchlässig und die Leuchtkraft entsteht durch mehrere aufgetragene Schichten. Abhängig von den Einlagerungen im Mineral braucht man ungefähr 100 Gramm des Materials, um vier Gramm Pigmente herzustellen, wie der Sohn des Firmengründers Georg Kremer erzählt.
Was ist überhaupt Farbe? "Eine ungemein komplexe Stoffeigenschaft", sagt Kremer. Die Partikel industriell hergestellter Farben seien gleichmäßig. Die Partikel in historischen Farben dagegen ungleichmäßig, verschieden groß. Sie haben Kanten, an denen sich das Licht unterschiedlich bricht.
Monatelange Arbeit
Beispiel Hans Multscher: Geboren um 1400 im Allgäu, einer der renommiertesten Bildhauer und Maler seiner Zeit. Er schuf die im Bildersturm verloren gegangenen Figuren des Karg-Altars im Ulmer Münster. Der Hintergrund und einige Sterne sind erhalten. Man ahnt nur noch die Schönheit, wenn man vor der Nische des zerstörten Altars steht. Die Faszination der alten Farben dauert an.
Kremer lässt die Steinmühle der Firma anlaufen, die ursprünglich eine italienische Ölmühle war. In der Aitracher Manufaktur mahlt sie mit Wasserkraft Brocken weicheren Gesteins wie Azurit zu Pulver. Ganz hellblau sind die Räder vom Azurit. Etwa 100 Kilo der Azuritbrocken werden pro Mahlgang unter den Graniträdern zermahlen. Eine Woche dauert es etwa, bis ganz feines Pulver entsteht. Die aufwendige Arbeit aber beginnt erst danach - Kalkanteile müssen herausgefiltert werden und das blaue Pulver wird nach Farbschattierungen sortiert, was insgesamt zwei bis drei Monate in Anspruch nimmt.
Vorsicht bei Gelb
Marienglas, ein wasserhaltiges Calciumsulfat, ergibt gemahlen ein Pulver, das bei der Verwendung praktisch transparent wird. Wer denkt, das leuchtende Rot des Rubins ergäbe ähnlich kräftig rote Pigmente, wird schwer enttäuscht: Ein blasses Rosa entsteht, zeigt Kremer. Auch aus dem glänzenden Pyrit wird ein recht graues und glanzloses Pulver, während das seltene Mineral Cavansit leuchtend blaue Farbtöne ergibt.
Vorsicht ist geboten bei der Farbe Gelb: Historische Rezepturen kräftiger Gelbtöne enthalten oft giftige Substanzen, die eine enorme Sorgfalt im Umgang erfordern - sowohl seitens des Künstlers als auch in der Herstellung.
Wie kommt man zu einem solchen Beruf, der auch Berufung sein muss? Sein Vater Georg, erzählt David Kremer, forschte als Chemiker an der Universität Tübingen. Eines Tages habe die Familie beschlossen, samt Großeltern, Bruder und Kindern ins Allgäu zu ziehen: in eine seit 30 Jahren leer stehende, jahrhundertealte Getreidemühle.
Ein mit Georg Kremer befreundeter Restaurator suchte nach dem Rezept für die im Barock verwendete und vor mehreren Tausend Jahren in Mesopotamien erfundene blaue Farbe "smalte" und bat den Chemiker um Hilfe. Dem gelang es, die verlorene Farbe herzustellen. Das war 1977 - das wiedergefundene Blau sollte die Geburtsstunde der Pigmente-Manufaktur werden.