epd-bild/Matthias Pankau
Eine Bibel von 1729 wird für das Landeskirchliche Archiv in der Werkstatt für Buch- und Papierrestaurierung Matthias Raum in Römerstein-Boehringen generalüberholt.
Kochbuch, Gesangbuch, Bibel
Buchrestauratoren bewahren Geschichte
Die Zeichen stehen auf Digitalisierung. Buchrestauratoren scheinen aus der Zeit gefallen. Für Matthias Raum ist es der spannendste Beruf überhaupt. Er arbeitet mit Jahrhunderte alten Schriften, brisanten Daten - und fand sogar ein Mordgeständnis.

"Hier ist sehr wahrscheinlich Öl aus einer Leselampe ausgelaufen", sagt Matthias Raum und zeigt auf den verschwommenen dunklen Rand am oberen Ende der großen Bibel von 1729. Das Archiv der Evangelischen Landeskirche in Württemberg hat das Buch in seine Hände gegeben. Das ausgelaufene Öl ist nicht das einzige Problem: Der schwere Holzeinband ist von Holzwürmern zerfressen, die Metallschließen sind abgefallen, einige Seiten zerrissen. Matthias Raum soll das Buch wieder aufarbeiten.

Raum ist gelernter Buchbindermeister und -restaurator. Seine Werkstatt in Römerstein-Böhringen auf der Schwäbischen Alb ist einer von nur wenigen Betrieben dieser Art in Deutschland, die sich auf die Restaurierung alter Bücher und Papiere spezialisiert haben. "Für unsere Werkstatt gibt es keine fertigen Leute auf dem Markt", sagt der 47-Jährige, der die Firma 2008 von seinem Vater Helmut übernommen hat. Deshalb legt Matthias Raum besonderen Wert auf eine hochwertige Ausbildung. Sechs seiner 15 Mitarbeiter sind Auszubildende - allesamt junge Frauen. "In diesem Beruf braucht man Geduld, Ausdauer und ein ruhiges Händchen", sagt er.

Hauptauftraggeber seien Kirchen, Bibliotheken, Landes- und Adelsarchive sowie Kunsthäuser aus ganz Deutschland und benachbarten Ländern. "Gerade restaurieren wir Bücher aus dem 8. Jahrhundert", erzählt der Experte dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Die wurden von Mönchen auf Pergament geschrieben, und das so sauber, dass man es am Computer nicht besser hinbekäme." Der Wert solcher Schriften lässt sich laut Raum nicht beziffern: "Sie sind unbezahlbar." Deswegen lagern sie während der Restaurierungshase auch in einem Tresor.

Nur etwa fünf Prozent der Aufträge kommen von Privatleuten. "Kochbücher, Gesangbücher und Bibeln, das sind die Klassiker", sagt Raum. "Das Rezept für Königsberger Klopse, der Lieblingschoral oder der eigene Konfirmationsspruch - das ist das, was viele Kunden der nächsten Generation weitergeben möchten." Oft erzählen die Bücher, die Raum und sein Team restaurieren, viel mehr als die Buchstaben darin. Einmal stieß der Buchexperte in einer Bibel auf ein Mordgeständnis. "Da hatte jemand sein Gewissen erleichtert und direkt neben der Geschichte von Kain und Abel handschriftlich gestanden, dass er jemanden umgebracht habe."

Das sei bewegend, auch wenn sich nicht rekonstruieren ließ, was einst wirklich vorgefallen war. Ein anderes Mal bekam er eine Bibel mit einem riesigen Hakenkreuz auf dem Einband. Die größte Gefahr für alte Schriften ist Baum zufolge übrigens Wasser - nicht Feuer, wie man denken könnte: "Wenn ein Buch in Brand gerät, verkohlt es immer außen herum. Ins Buchinnere kommt ja kein Sauerstoff und deshalb auch kein Feuer." Wasser hingegen dringe in die Schriften ein und verursache Schimmelbildung. Auch gefährlich: Insekten. "In den Einbanddeckeln sitzt gerne der Holzwurm", sagt der Spezialist. "Und im Papier die Papierfischchen." Die "Rettung" eines Buches braucht Zeit.

Hoffnungslose Fälle gibt es nicht

Zunächst wird es im sogenannten Reinluftraum gereinigt, anschließend zerlegt. Im Nassraum werden Fehlstellen mit Papierfasern nach altem Rezept ergänzt und aufgearbeitet. Der Trocknungsprozess dauert schließlich mehrere Tage. Hoffnungslose Fälle gibt es nicht für Matthias Raum und sein Team. Auch nicht bei dem hoffnungslos anmutenden schwarzen Klumpen, der kürzlich aus einem anderen Bundesland hereinkam. "Das sind Dokumente, die die Nazis kurz vor Kriegsende auf dem Wasserweg in Sicherheit bringen wollten", erklärt der Experte. "Allerdings wurden die Schiffe versenkt und die Akten wurden erst nach Monaten geborgen."

Da es sich dabei um "hochsensible und brisante Daten" handelt, wie Raum sagt, waren sie die letzten Jahrzehnte unter Verschluss. Jetzt endlich sollten sie wiederhergestellt werden. Der schönste Moment für Raum und seine Kolleginnen ist der, wenn ein Buch nach erfolgreicher Restaurierung wieder seinem Besitzer übergeben wird. Die Bibel von 1729 soll bis Jahresende an das Landeskirchliche Archiv der württembergischen Kirche in Stuttgart zurückgehen. Mehr als 100 Stunden Arbeit werden dann in deren Wiederherstellung geflossen sein. "Sie ist dann aber auch fit für die nächsten 300 Jahre", sagt Matthias Raum zufrieden.