Eine große weiße Figur, ein Tintenfass und fünf schwarze Fliegen: Mit seiner eigenwilligen Interpretation des Reformators Martin Luther sorgt der Künstler Markus Lüpertz seit mehr als drei Jahren für kontroverse Diskussionen in Hannover und weit darüber hinaus. Angeregt von Altkanzler Gerhard Schröder hat er die Reformation, so wie er sie sieht, in Buntglas gesetzt. Schröder hat der Marktkirche das Kunstwerk als Ehrenbürger von Hannover geschenkt - als Erinnerung an das 500. Reformationsjubiläum 2017. Doch während sich die Kirchengemeinde begeistert zeigte, liefen andere Sturm dagegen - unter ihnen der Architekten-Erbe Georg Bissen, der den Einbau des 13 Meter hohen Fensters mit einer Klage vor Gericht verhindern wollte. Seit Dienstag steht nach langem Rechtsstreit fest: Das Fenster darf eingebaut werden.
Denn vor dem Oberlandesgericht in Celle haben sich Bissen und die evangelische Marktkirchen-Gemeinde in einem Berufungsverfahren überraschend auf einen Vergleich geeinigt: Die Marktkirche verpflichtet sich, neben dem Fenster gut sichtbar ein Schild anzubringen, das ausdrücklich die Leistungen des Nachkriegsarchitekten Dieter Oesterlen (1911-1994) würdigt. Er hatte die kriegszerstörte Kirche 1946 wieder aufgebaut und dabei den schlichten mittelalterlichen Raumeindruck rekonstruiert.
In dem Prozess machte Bissen geltend, dass das Reformationsfenster diese gewollte Schlichtheit des Raums entstellen würde. Auch der Richter Matthias Wiese hielt fest, dass das Fenster wie ein Fremdkörper in dem schmucklosen Raum wirke und als neuer Blickfang die Aufmerksamkeit auf sich ziehe. Doch die Kirche müsse auch die Freiheit haben, den Raum so zu nutzen, wie sie es für richtig halte. "Das Fenster zeigt unstreitig religiöse Motive."
Hinweisschild würdigt Architekten
In der Verhandlung ließ Wiese durchblicken, dass das Selbstbestimmungsrecht der Kirche höher zu gewichten sei als das Urheberrecht des Architekten. Das hatte schon das Landgericht Hannover in erster Instanz so gesehen. Der Richter schlug daher eine gütliche Einigung vor. Er hatte sogar schon einen Text für das Schild neben dem Fenster vorbereitet, der die "großartige Einfachheit" des Raumkonzepts von Oesterlen betont.
Darauf ließen sich schließlich beide Seiten ein, wenn auch "schweren Herzens", wie Bissens Anwalt Frank Meier sagte. Bissen betonte, er bleibe bei seiner Meinung, dass das Fenster den Raumeindruck zerstöre. "Ich bin aber realistisch genug zu sehen, was möglich ist und was nicht. Das Schild ist immerhin ein Trostpflaster."
Nach der Verhandlung reichten sich Vertreter beider Seiten die Hände. Marktkirchen-Pastor Marc Blessing sagte: "Der wunderbare Raum vom Oesterlen hält es aus, dass da auch dieses Fenster drin ist." Auch Gegner des Fensters aus der Gemeinde äußerten sich bei aller bleibenden Skepsis versöhnt und sprachen von "salomonischer Weisheit". Der Kompromiss trage beiden Künstlern angemessen Rechnung. "Und es kehrt wieder etwas Frieden ein."
Kräftige Farben und Symbole
Die Marktkirche hatte die Herstellung des Fensters vor anderthalb Jahren bei der Glasmanufaktur Derix im hessischen Taunusstein in Auftrag gegeben. Es ist inzwischen fertig, die bisherigen Kosten hat Schröder bereits beglichen. Insgesamt werden sie auf rund 150.000 Euro geschätzt. Der 77 Jahre alte Altkanzler, ein Freund von Markus Lüpertz, wollte dafür Vortragshonorare weitergeben.
Die fünf großen schwarzen Fliegen, die auf dem Fensterbild herumkrabbeln, stehen aus Sicht von Lüpertz für das Böse und die Vergänglichkeit. Der 80 Jahre alte Künstler will mit seinem Werk den Kampf gegen das Böse symbolisieren, von dem der Mensch aus Sicht des Reformators ständig umgeben sei. Deshalb setzte er auch andere Symbole hinzu: ein Gerippe, Schriftspuren und kräftige Farben.
Die Marktkirche will das Fenster im nächsten Jahr einbauen lassen. Hannovers Kulturdezernentin Konstanze Beckedorf freut sich darauf: "Für Hannover ist es großartig, dass das Fenster eingebaut wird", sagte sie. "Es wird sicherlich ein Ort sein, der viele Menschen anzieht."