Kurz vor ihrem 24. Geburtstag im Juli kommt der Anruf. „Ich komme mal direkt zum Punkt“, sagt die Stimme am anderen Ende der Leitung. Was sie über den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) wisse, und ob sie für das Leitungsgremium kandidieren wolle. Die Göttinger Theologiestudentin Julia Schönbeck hat sich dafür entschieden und ist damit die jüngste Kandidierende bei den Wahlen, die am Dienstag die digital tagende Synode der EKD vom Morgen an über viele Stunden in Atem hält
Im Rat mitzuarbeiten, das heißt auch, die große Bühne zu betreten. Denn das Gremium ist der mit Abstand sichtbarste Leitungskreis der EKD, der über aktuelle Herausforderungen für Kirche und Gesellschaft berät und sich öffentlich zu Wort meldet. „Ich stehe nicht gerne auf Bühnen“, sagt Schönbeck am Sonntag bei ihrer Vorstellung im Bremer Tagungshotel. „Ich bin zu leise, zu schüchtern.“ Aber für die Sache wolle sie es tun, als leiser Mensch. „Aber ich muss auch nicht laut sein, um gehört zu werden.“
Ein Sitz für die nächsten sechs Jahre ist bereits der im Mai gewählten Präses der Synode, Anna-Nicole Heinrich, vorbehalten. Für die 14 verbliebenen Plätze stehen zehn Frauen und zwölf Männer zur Wahl, die in ihren Vorstellungen vielfach von großen Veränderungen sprechen, die auf die Kirche zukommt. Schönbeck ist ein Teil davon, schon, weil sie zu den jüngeren Kandidierenden gehört. Und ihre Themen sind Zukunftsthemen: In den sozialen Medien schreibt sie insbesondere über Inklusion und inklusive Kirche, das Eintreten gegen Diskriminierungen ist ihr ein zentrales Anliegen.
Für sie und für alle anderen Kandidierenden ist die Wahl diesmal anders und durchaus herausfordernd. Die Synode berät bis Mittwoch digital, weil ein Teilnehmer einer vorbereitenden Gremiensitzung positiv auf das Coronavirus getestet worden war. Face to face können sich die Delegierten nicht treffen, „Kungelrunden“ zwischen den Wahlgängen zur Abstimmung von Mehrheiten laufen in virtuellen Räumen. Anna-Nicole Heinrich schaut in einen weitgehend leeren und halb abgedunkelten Saal im Bremer Congress Centrum auf einen Bildschirm mit Zoom-Kacheln.
Über den Plätzen, auf denen eigentlich die Mitglieder der Synode und der Kirchenkonferenz sitzen sollten, hat die EKD in Windeseile Technik eingerichtet, um die Beratungen digital übertragen zu können. Und schon die über Monate laufende Vorbereitung der Wahl hat Einsatz erfordert. Denn hinter dem Tableau der Kandidierenden steht ein sorgfältig austariertes Verhältnis etwa zwischen Lutheranern und Reformierten, unterschiedlichen Frömmigkeitsstilen, beruflichen Prägungen und kirchlichen Funktionen. Und nicht zuletzt will die Kirche moderner, digitaler und jünger werden. Eigentlich eine Steilvorlage für Julia Schönbeck.
Doch die Studentin muss zittern und bleibt aufgeregt, die Situation strapaziert zunehmend das Nervenkostüm. Immerhin: „Wir werden hier gut mit Schokolade versorgt“, sagt sie mit einem Lächeln. Auch nachmittags im sechsten Wahlgang - die Abstimmungen haben sich wie in zurückliegenden Synodensitzungen längst zum Marathon entwickelt - schafft sie nicht die Zwei-Drittel-Mehrheit, die jeder Kandidierende für den Einzug in den Rat braucht. Würde es nicht klappen, wäre sie enttäuscht, sagt sie zwischendurch, ergänzt aber auch: „Ich freue mich so sehr für viele andere, die schon reingekommen sind.“
Sie brennt darauf, ihr Wissen und ihre Praxis um neue Formen der Kirche einzubringen, die sie in den zurückliegenden Jahren kennengelernt und ausprobiert hat. „Mitglied im Rat zu sein, bedeutet für mich: Zuhören und ansprechbar sein. Ich möchte viel im Austausch mit Menschen innerhalb und außerhalb unserer Kirche sein, ihre Themen aufnehmen und in die Arbeit einbringen.“
Aufregung pur
Aber schon die Kandidatur sei für sie „voll die Ehre“, betont Schönbeck, die aus der Ferne digital besonders von ihrer Familie und ihrer Dreier-Wohngemeinschaft in Göttingen unterstützt wird. „Alle sind aufgeregt“, sagt sie. Und wenn es nicht klappt? „In der WG“, verrät Schönbeck, „stoßen wir morgen so oder so an.“