epd: Frau Chodzinski, Sie begleiten aktuell eine Frau, die als Kind von einem angehenden evangelischen Diakon schwer missbraucht wurde, bei der Aufarbeitung der Taten. Was ist dabei Ihre Rolle?
Claudia Chodzinski: Ich bin freiberuflich tätig und unabhängig. Die hannoversche Landeskirche trägt aber die Kosten für eine solche Begleitung und auch für mögliche Therapien. Es ist wichtig, dass Betroffene von dieser Möglichkeit erfahren. Diese Form der Unterstützung ist wichtig. Es geht darum, sich jemanden zu suchen, der sich mit Grenzverletzungen und sexueller Gewalt auskennt und weiß, wie Institutionen ticken.
Für mich steht im Vordergrund, den Menschen, die Missbrauch erlebt haben, deutlich zu machen, dass nicht sie das Problem sind. Das Problem hat die Institution, innerhalb der Missbrauch verübt wurde. Die Betroffenen zweifeln oft, aber sie dürfen Fragen stellen und Anschuldigungen erheben.
Sie sprechen von „traumatisierten Institutionen“, gehört die evangelische Kirche für Sie dazu?
Claudia Chodzinski: Ja, davon können wir ausgehen. Die Kirche ist sowohl die traumatisierende, als auch die traumatisierte Institution. In traumatisierten Institutionen ist das Thema Missbrauch mit Tabus belegt, es wird geleugnet, negiert oder abgespalten. Durch die eigene Betroffenheit und Mit-Verantwortung wollen und können sich Menschen innerhalb der Institution den Wahrheiten des Missbrauchs nicht stellen.
Geschlossene Systeme, egal ob Familien oder Institutionen wie Kirchen, Schulen oder Kliniken bergen die große Gefahr, dass es Grenzverletzungen gibt - Missbrauch, Gewalt, Vernachlässigung. Wenn solche Traumatisierungen nicht aufgearbeitet werden und über Dinge nicht geredet wird, dann schwelen sie weiter vor sich hin und werden wiederholt. In der Kirche gibt es zwar eine Hierarchie, aber kaum Führungskompetenzen in bestimmten Bereichen. Man kritisiert und konfrontiert nicht seine Kollegen, schon gar nicht legt man offen, dass Grenzverletzungen beobachtet werden.
Was halten Sie für notwendig?
Claudia Chodzinski: Geschlossene Systeme müssen sich öffnen. Zum Beispiel in der Aus-, Fort- und Weiterbildung müssen unabhängige Berater, aufrichtig gemeinte Betroffenenbeteiligung, externe Vernetzung und Partizipation zugelassen werden. Es muss vielfältige Außenperspektiven geben. Nur so werden kritische Fragen möglich sein und auch gestellt werden. Eine Frage könnte sein: Wie wird mit dem Seelsorgegeheimnis umgegangen? Schweigen in Missbrauchssituationen wird unter anderem damit begründet, davon in einer Seelsorgesituation gehört zu haben und damit handlungsunfähig zu sein.