Bernd Töpfer gibt sich betont gelassen: „Ich sehe die ganze Sache entspannt“, sagt der neue Internatsleiter und Geschäftsführer des Windsbacher Knabenchors. Unter „die ganze Sache“ lassen sich ein paar Vorgänge zusammenfassen, die sich mehr oder weniger hinter den Kulissen des renommierten Chors zugetragen haben. Im Zentrum steht dabei der Ende Juli bekanntgewordene und für viele überraschende Weggang von Chorleiter Martin Lehmann nach Dresden im nächsten Jahr.
Im Kern geht es um die Frage: Warum geht Lehmann? Und die wiederum zieht viele andere Fragen nach sich: Hat ihn die Landeskirche vertrieben, wie es eine Kommentatorin Ende Juli wähnte? Oder hat die Kirche „nur“ nicht genug getan, um ihn zu halten? Sind die Arbeitsbedingungen in Windsbach noch zeitgemäß? Welche Rolle spielen die Gremien? Soll der Knabenchor weiterhin seinen sehr hohen musikalischen Anspruch verfolgen - oder den Jungs doch etwas mehr Zeit für die Schule geben?
Internatsleiter Töpfer, der erst seit Juli in Windsbach ist, sagt, alle aktuellen Reibereien seien „einzig und allein ein Ausdruck der Trauer“ über den Weggang Lehmanns. Manche befänden sich nun eben in der „Trauerphase des Auflehnens gegen das Unausweichliche“ und suchten einen Schuldigen. Dies laufe aus seiner jahrzehntelangen Erfahrung als Gemeindepfarrer „nicht immer fair und gerecht“ ab. Er sei sich sicher, dass man gemeinsam mit allen Beteiligten eine gute Nachfolge-Lösung finde.
"Schwer greifbare" Wallungen
Auch der Windsbacher Dekan Klaus Schlicker, Vorsitzender des Kuratoriums des Knabenchors, sieht die größtenteils noch hinter vorgehaltener Hand geäußerte Kritik vor allem im „Frust über Lehmanns Weggang“ begründet. Die Wallungen seien „schwer greifbar“, sagt Schlicker. Klar sei, dass man ohne Wenn und Aber zu Windsbach als Hochleistungschor stehe. Doch als evangelische Einrichtung habe man auch das Wohl der Heranwachsenden im Blick: „Das ist manchmal die Quadratur des Kreises.“
Der Elternbeirat der Windsbacher jedenfalls ist besorgt, und das nicht erst, seit Lehmanns Weggang bekannt wurde. Seither aber erhöht dessen Vorsitzender Pfarrer Mark Meinhard - selbst im Brotberuf Schulleiter der evangelischen Nürnberger Löhe-Schule - den Druck. Eltern und Schüler stünden voll und ganz hinter dem Hochleistungskonzept in Windsbach. „Wir wissen, was die Eltern wollen“, sagt er. Auf eine Elternbeiratsumfrage habe er um die 80 „relativ ausführliche Schreiben“ von Eltern erhalten.
Lehmann: "Mannigfaltige Gründe"
Auch wenn alle Beteiligten sich um einen fairen Umgang miteinander bemühen - zwischen den Zeilen hört man den Unfrieden deutlich heraus. „So manche Handlung des Kuratoriums erklärt sich mir nicht sofort“, sagt Meinhard. Im Namen des Elternbeirats fordere er Transparenz ein, auch darüber, was für Gründe zu Lehmanns Weggang geführt haben. Sein Wunsch sei ein „moderiertes Gespräch“ mit allen Beteiligten. Es müsse nun geklärt werden, „was strukturell“ und im Hintergrund falsch gelaufen sei.
Bei Aussagen wie diesen - und die gibt es momentan von vielen Seiten im Windsbacher Dunstkreis - schwingt immer die Vermutung mit, dass hinter Lehmanns Weggang mehr stecken muss als seine eigenen biografisch-musikalischen Wurzeln. Dass der 48-Jährige, einst selbst Kruzianer, die Leitung des Dresdner Kreuzchores übernehmen würde, wenn sie ihm einmal angetragen wird, kann keinen ernsthaft verwundern. Wird in Lehmanns beruflichen Schritt einfach zu viel hineininterpretiert?
Am besten fragt man in solchen Situationen den Auslöser und Betroffenen selbst. „Mannigfaltige Gründe“ seien es, warum er schon seit 2018 über einen Weggang aus Windsbach nachdenke. Das liege aber „weder an den Eltern, den Jungs oder den Mitarbeitern“. Er werde „mit Elan den Chor bis zu seinem Wechsel nach Dresden führen“, sagte Lehmann dem Evangelischen Pressedienst (epd). Und natürlich seien es vor allem biografische Gründe, zurück nach Dresden zu gehen. „Aber nicht nur.“
Über „die große Ehre“, überhaupt gefragt und dann ins Auswahlverfahren für den Dresdner Kreuzchor aufgenommen worden zu sein, spricht Lehmann. Und darüber, dass es nur drei internatsgebundene evangelische Knabenchöre in Deutschland gebe. Neben Windsbach und Dresden ist das der Leipziger Thomanerchor, der aber gerade just eine neue Spitze erhalten hat. Die Chance, noch einmal die Stelle zu wechseln, habe sich also gerade jetzt aufgetan. Und für Lehmann war dieser Schritt schlüssig.
Es gibt aber auch die anderen Gründe, die er „gerne intern lassen möchte“. Lehmann deutet dann aber doch Dinge an. Er spricht von strukturellen und personellen Veränderungen in der Gremienarbeit, von den finanziellen Rahmenbedingungen und einigem mehr, mit denen er nicht zufrieden war: „Von einer Stelle, auf der man sich zu 90 Prozent wohlfühlt, bewirbt man sich nicht weg.“ Er finde es gut, dass die Eltern nun die Bearbeitung dieser Konfliktfelder angestoßen haben, um etwaige Probleme zu lösen.
Letztlich geht es aber auch um mangelnde Wertschätzung für die zweifelsohne hervorragende Arbeit, die Lehmann in Windsbach geleistet hat. Er kam als relativ unbekannter Chorleiter nach Windsbach, vielen schien es kaum möglich, dass Lehmann in die riesigen Fußstapfen von Karl-Friedrich Beringer treten kann. Er konnte. „Die Landeskirche hat nicht versucht, auf die möglichen Abwerbeversuche zu reagieren“, sagt Lehmann dazu: „Ich wollte das nicht öffentlich diskutieren. Ich will nicht nachtreten.“