Mit durchdringender Stimme verschafft sich Christine Hölscher Gehör. Ihre sorgsam formulierten, mitunter mit Verve vorgetragenen Worte erfüllen das Kirchenschiff. Hölscher kann predigen. In den Bänken kein Tuscheln, kein Hüsteln, kein Rutschen. Sie geht mit ihrer katholischen Kirche hart ins Gericht, prangert ungelöste Probleme an: "Ich sage nur: Segen für alle, Studien zum Umgang mit Missbrauch, die Rolle der Frauen und des Amtes." Auch mit der eigenen Gemeinde redet sie Tacheles.
Die 54-Jährige leitet seit anderthalb Jahren als eine von wenigen Frauen in Deutschland eine katholische Gemeinde. Dieser Job ist laut Kirchenrecht eigentlich geweihten Priestern und somit Männern vorbehalten. In einer "Instructio" hatte die Kirchenleitung in Rom dies vor einem Jahr noch einmal bekräftigt. Ungeweihte Laien sollen die Führungsrolle nur in absoluten Ausnahmefällen übernehmen.
Gegen das Veto aus Rom
Den Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode ficht das nicht an. Er ist einer der reformfreudigsten Bischöfe und stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Am Konstrukt der Pfarrbeauftragten, zu denen er wegen der Priestermangels Frauen wie auch nicht geweihte Männer beruft, hält Bode trotz des Vetos aus Rom fest. Der Vorsitzende der Frauenkommission ist überzeugt, dass Frauen in Führungspositionen der katholischen Kirche guttun.
Hölscher, Pfarrbeauftragte der Pfarreiengemeinschaft Bad Iburg/Glane, weiß das zu schätzen. Auch dafür, dass sie predigen darf, war die Erlaubnis des Bischofs nötig. Dennoch hadert sie mit den Begleitumständen. Dass ihr Priester an die Seite gestellt werden, weil sie selbst als Frau nicht geweiht werden darf, empfindet sie als Diskriminierung: "Die strukturelle Diskriminierung von Frauen in meiner Kirche schmerzt mich. Wir schreiben Gott vor, wer berufen wird", schimpft sie. Deshalb habe sie es abgelehnt, in Bad Iburg in das Pfarrhaus zu ziehen.
Sakramente sind allein Priestern vorbehalten
Allein die Priester sind in der katholischen Kirche zuständig für die Sakramente wie Taufe, Hochzeit, Firmung oder die Eucharistie, also das Abendmahl. Daran könne auch er nicht rütteln, sagt Bode. "Auch wenn meine Vorstellungskraft das zulässt."
In Bad Iburg macht Hölscher abseits der Sakramente fast alles. Die ausgebildete Gemeindereferentin und studierte Religionspädagogin leitet das Pastoralteam, zeichnet verantwortlich für Haupt- und Ehrenamtliche, die vier Kitas, für die Kolping- und Frauenverbände, die Finanzen und Gebäude. Sie führt Seelsorge- und Trauergespräche, beerdigt und bereitet Jugendliche auf die Firmung vor. "Das ist typisch katholische Kirche. Ehrenamtliche und Laien dürfen den Laden am Laufen halten, aber wenn es um die Sakramente geht, sind wir raus", sagt sie mit Bitterkeit in der Stimme.
Die Gemeinde liebt ihre Chefin - auch und gerade für ihre klaren Worte. Aber auch für ihren Fleiß und dafür, dass "sie Kirche wieder lebendiger macht, mit mehr Speed Veränderungen angeht", sagt Gottesdienstbesucher Carl-Heinz Gödde. Sie könnten sich Christine Hölscher auch als geweihte Priesterin vorstellen, sagen er und seine Frau Mechthild unisono.
Hölscher "nutzt die Spielräume"
Auch der in der Gemeinde tätige Priester lobt seine Kollegin. Er schätze sie menschlich und fachlich, sagt Bernhard Brinkmann. Er findet, "das ist mal dran", dass eine Frau Gemeinde leitet, predigt und Seelsorge macht.
Christine Hölscher erfüllt ihren Job trotz allem mit Herzblut, auch weil "die Chemie im Team stimmt", wie sie sagt. Dazu gehören außer den beiden Priestern noch Diakon, Gemeindereferentin und Pastoralassistentin. "Ich habe einen Weg gefunden, mit der Diskriminierung umzugehen. Ich nutze die Spielräume und die sind immerhin größer als mancher denkt."
Was echte Reformen angeht, bleibt die Gemeindechefin skeptisch. "Ich habe noch nie erwartet, dass aus Rom oder von der Deutschen Bischofskonferenz Impulse kommen." Selbst die reformorientierten Bischöfe seien letztlich eben doch loyal.
Bei aller Kirchenpolitik verliert Hölscher nicht aus dem Blick, was die Menschen in ihrer Gemeinde umtreibt. Die Corona-Krise habe auch die Menschen in Bad Iburg stark belastet. Kinderbetreuung und Seelsorge per Telefon seien vielfach gefragt gewesen. "Da hat niemand gesagt: Du bist ja gar nicht Priester. Wichtig ist, dass wir für die Menschen ansprechbar, glaubwürdig und authentisch sind, dass wir dran sind an ihrem Leben."