Rote Linie auf einem Asphaltboden: Die "rote Linien" Antisemitismus und Rassismus dürften im Wahlkampf nicht überschritten werden, sagt Landesbischof July.
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DEr württemberische Landesbischof mahnt zur Fairness im Bundestagswahlkampf. Rote Liniendürften nicht überschritten werden
Bischof July zum Wahlkampf
"Antisemitismus und Rassismus sind rote Linien"
Respektvoll und fair soll es zugehen. Das wünscht sich Württembergs Landesbischof Frank Otfried July im anstehenden Bundestagswahlkampf. Trotz des Mitgliederschwunds sollte die Kirche stark und selbstbewusst auftreten.

Herr Landesbischof, die jüngste Mitgliederstatistik zeigt: Die Neigung zum Austritt aus der evangelischen Kirche ist nur leicht gebremst. Kann ein Bischof etwas gegen Mitgliederverluste tun?

Frank Otfried July: Die Gefahr besteht, dass man sich als Bischof auf die Position zurückzieht, an dem allgemeinen Trend lasse sich nichts ändern. Das seien eben gesellschaftliche Entwicklungen wie der Individualismus und der demographische Wandel. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die mit einem Füllhorn von Projekten und Ideen und Initiativen meinen, man könne diese Entwicklung komplett umdrehen. Ich denke, beides ist zu hinterfragen.

Warum?

July: Man muss unterscheiden lernen, was beeinflussbar ist und was erst einmal nicht. Dabei vertraue ich auf Gottes Geistesgegenwart. Wir haben als Landeskirche eine Befragung unter Ausgetretenen gemacht, um ihre Motive zu verstehen. Es müsste eine weitere Befragung unter Menschen geben, die wieder eingetreten sind. Dann gibt es viel zu überlegen, was wir daraus lernen können, wie wir beeinflussen können.

Das heißt: In die Abgesänge auf die Kirche stimmen Sie nicht ein?

July: Ohne die Probleme zu beschönigen, die wir als Kirche haben: Mir kommt in der Öffentlichkeit zu wenig zum Ausdruck, wie viele Hunderttausende Menschen kirchlich aktiv sind. Die Kirchen bleiben die größte gesellschaftliche Kraft. Wir üben als christliche Gemeinschaft Verantwortung füreinander ein, sind bei denen, die sozial am Rande stehen, und machen Orientierungsangebote. Wir sollten als Kirche weiterhin selbstbewusst und stark auftreten, um deutlich zu machen, was wir tun.

"Der globale Blick ist kein netter Zusatz. Wir gehören weltweit zusammen"

Weniger Mitglieder bedeutet mittelfristig auch weniger Kirchensteuer. Die Landessynode hat bei ihrer jüngsten Tagung sehr allgemein formulierte Kriterien verabschiedet, nach denen künftig gespart werden soll. Glauben Sie, das wird künftigen Verteilungskämpfen die Schärfe nehmen?

July: Die Synode sagt, sie will die Verkündigung des Evangeliums stärken - das ist ein ganz wichtiges Kriterium. Was wir in den vergangenen Jahrzehnten an Diensten und Arbeitsbereichen aufgebaut haben, war ja kein Firlefanz, sondern notwendig. Da ist viel Herzblut und Geist drin. Ich verstehe den Synodenbeschluss deshalb als einen ersten Aufschlag. In den nächsten Monaten werden die Kriterien detaillierter werden müssen, um sich der schwierigen Aufgabe der Einsparungen auf gute Weise stellen zu können.

Sie haben - nicht zuletzt durch Ihr Engagement beim Lutherischen Weltbund (LWB) - immer einen Blick für die internationale Kirche. Ist uns in der Corona-Pandemie der Blick für die Partnerkirchen verlorengegangen?

July: Ich hoffe nicht. Ich selbst habe ja über den LWB mitgewirkt, dass wir an unsere Partnerkirchen gedacht haben, dass wir Spenden hingeschickt haben und dass wir uns für Impfgerechtigkeit weltweit einsetzen. Die Gefahr besteht natürlich immer, das hat auch die jüngste Hochwasserkatastrophe in Deutschland gezeigt, dass man fixiert ist auf das, was vor der eigenen Türe liegt. Ich erinnere daran, dass viele Länder in der Welt, etwa Bangladesch oder Indien, ebenfalls schwere Hochwasser hatten. Das tröstet nicht die Leute in Deutschland, die jetzt unter den Fluten zu leiden haben und die unsere Unterstützung brauchen. Aber der globale Blick ist kein netter Zusatz, sondern wir gehören weltweit zusammen.

"Ich hätte gern mit Bischof Fürst gemeinsam Abendmahl gefeiert"

Laut Hilfswerken haben die Lockdowns in den Industriestaaten zur Folge, dass in den Entwicklungsländern wieder viele Millionen Menschen mehr hungern müssen. Sind wir in diesem Punkt zu egoistisch?

July: Ich befürchte, man hatte die Konsequenzen für die Länder des Südens zu wenig auf dem Schirm. Es ist Aufgabe der Kirchen, diesen globalen Blick immer wieder zu öffnen. Wenn die aktuelle Mentalität lautet "Jeder ist sich selbst der Nächste", dann haben wir als Christen eine andere Botschaft: "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst" - auch den fernen Nächsten.

Stichwort Ökumene: In der Frage des gemeinsamen Abendmahls gibt es seit Jahrzehnten keine nennenswerten Fortschritte. Tritt die Ökumene auf der Stelle?

July: Wenn Sie vergleichen, wie die Lebenssituation der Gemeinden vor 50 Jahren war und wie sie heute ist, hat sich sehr viel entwickelt. Die ökumenische Gesinnung ist auf beiden Seiten sehr stark. Andererseits habe ich im Moment den Eindruck, dass in manchen Lehrfragen wie dem Abendmahl tatsächlich auf der Stelle getreten wird. Ich hätte gerne zum Ende meiner Amtszeit beim Katholikentag nächstes Jahr in Stuttgart mit Bischof Fürst einen gemeinsamen Abendmahlsgottesdienst gefeiert. Das wird nicht möglich sein.

"In der Sache pointiert streiten - aber mit Anstand"

Im September sind Bundestagswahlen. Wie stellen sich die Kirchen dazu?

July: Wir geben keine Wahlempfehlung ab. In einer demokratischen Gesellschaft und in einer Volkskirche, die ein breites Spektrum an Überzeugungen hat und auch braucht, können wir uns nicht für eine Partei aussprechen. Kirchliche Arbeitszweige wie die Diakonie haben in der Vergangenheit manchmal Wahlprüfsteine herausgegeben. Das kann bei der Entscheidung helfen.

Was mir aber genauso wichtig ist: Ein Wahlkampf muss von Respekt und Beachtung der Menschenwürde gezeichnet sein. Parteienvertreter sollen fair miteinander umgehen, in der Sache sehr pointiert streiten, aber mit Anstand. Das gilt gerade in einer Gesellschaft, die sich zum Teil extrem polarisiert und wo die Verrohung in der Kommunikation wieder zunimmt.

Sind für Christen alle zugelassenen Parteien prinzipiell wählbar?

July: Antisemitismus und Rassismus sind rote Linien, die nicht überschritten werden dürfen. Aber in vielen anderen Fragen geht es mehr um die Schärfung des Gewissens einzelner Wähler als um eine Parteiempfehlung.

epd: Wir danken für das Gespräch.