Der Vorsitzende des Vereins "1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland", Matthias Schreiber, forderte den Stopp der Kampagne. "Wahlkampf ist Wahlkampf, keine Frage - aber auch und besonders in Zeiten, in denen politisch hart gestritten wird, sind Assoziationsketten, die antisemitische Anspielungen in Kauf nehmen, fatal", sagte Salzborn: "Die Moses-Analogie, die Referenz auf die strenge Gesetzesreligion, der Terminus 'Staatsreligion' - all das weckt antijüdische Stereotype in der Metaphorik, die in der politischen Debatte - bei jeder inhaltliche Differenz - fatal sind."
Überschrieben ist die Anzeige, die am 11. Juni in mehreren Tageszeitungen erschien, mit dem Slogan "Wir brauchen keine Staatsreligion". Die Lobbyorganisation INSM wird nach eigenen Angaben von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektro-Industrie finanziert. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hat sich inzwischen von der Kampagne distanziert.
Grenze überschritten
Schreiber forderte den Stopp der Kampagne, die noch auf der Webseite der INSM steht. Weder der Initiative, noch einzelnen Beteiligten unterstelle er eine antisemitische Motivation, sagte der evangelische Pfarrer, der als Religionsreferent beim NRW-Landtag arbeitet. "Aber, indem sie hier die Ressentiments bedienen, erweisen sie sich - ungewollt und in naivster Manier - als die Wasserträger des Antisemitismus." An diesem Beispiel werde einmal mehr deutlich, wie groß die Aufgabe sei, Antisemitismus von der Wurzel her zu bekämpfen, erklärte der Theologe. Er sei gespannt, ob die Initiative sich jetzt konstruktiv an dieser wichtigen Aufgabe beteilige.
Der Arbeitskreis Christinnen und Christen in der SPD kritisierte, mit der Kampagne werde nicht nur Religion zu Wahlkampfzwecken missbraucht. Es komme darin auch eine antisemitische Haltung zum Ausdruck, die das jahrhundertealte Vorurteil pflege, das Judentum sei eine gesetzliche Verbotsreligion. "Indem die INSM antisemitische Stereotype nutzt und diese religionsfeindliche Anzeige in großen Tageszeitungen geschaltet hat, hat sie eine bisher gültige Grenze des politisch-moralischen Anstands überschritten", heißt es in einer von Wolfgang Thierse und Kerstin Griese als Sprechern des Arbeitskreises verbreiteten Resolution, die das Gremium bei seiner Klausurtagung verabschiedete.
Bildungsdefizite zeigen sich
Der evangelische Theologe Traugott Jähnichen sieht die Kampagne als Zeichen dafür, dass zum Thema Antisemitismus weiterhin viel Bildungsarbeit nötig ist. Dass alle beteiligten Verantwortungsträger nicht gemerkt hätten, wie die Kampagne sich alter antijüdischer Stereotype bediene, sei erschreckend, sagte der Professor für Christliche Gesellschaftslehre von der Ruhr-Universität Bochum. "An einem solchen Beispiel wird offenbar, wieviel falsch gelaufen sein muss in der Bildung, auch in der Gewissensbildung und Ethik, in der Ausprägung einer politischen Haltung, die der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2021 entspricht."
Mose ist eine der wichtigsten Figuren der jüdischen Religion. Die fünf Bücher Mose erzählen die Geschichte des jüdischen Volkes und bilden die Tora. Sie sind der zentrale Bestandteil der jüdischen Bibel. Die Zehn Gebote sind das erste umfassend formulierte Sittengesetz in der Geschichte der Menschheit, das sich auf eine als ewig gesetzte Norm gründet. Nach biblischer Überlieferung nimmt Mose sie am Berg Sinai direkt von Gott entgegen.