Untersuchungen zeigten, dass antisemitische Grundeinstellungen inzwischen wieder in der Mitte der Gesellschaft angekommen seien, auch in den Kirchen, sagte Pfarrerin Marion Gardei dem Evangelischen Pressedienst.
Die Verbreitung von Verschwörungserzählungen und Hassparolen sei durch das weltweite Netz heute unkontrollierbar und folgenreicher, sagte Gardei: "Auch für Kirchenmitglieder aller Generationen bis hin zu den Konfirmandinnen und Konfirmanden ist das Internet als Kommunikationsmittel meinungsbildend." Umso wichtiger werde es für die Kirche, sich von antijüdischen Inhalten klar abzugrenzen, betonte die Theologin, die am 27. Januar in ihr Amt als Antisemitismusbeauftragte der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) berufen wurde.
Auch antijüdische Traditionen und Bilder in Gemeinden und Kirchen müssten aufgearbeitet werden. Dazu gehörten zum Beispiel die Ritualmord-Gründungslegende im Klosterstift Heiligengrabe in Nordwestbrandenburg, Schmähplastiken in Kirchen und Verstrickungen in der Nazizeit, sagte Gardei. Die sogenannte "Judensau" an der Stadtkirche Wittenberg beschäftigt schon seit Jahren die Gerichte. Von den 1700 Jahren jüdischen Lebens auf deutschem Gebiet seien 1624 Jahre geprägt von Ausgrenzung und Anfeindung, an deren Entstehen die Kirchen wesentlichen Anteil hatten. Gardei: "Das hat seine Spuren hinterlassen."
"Inzwischen hat unsere Kirche zwar vielfach ihre Schuld bekannt und eine deutliche Umkehr vollzogen", sagte Gardei. "Trotzdem sind alte theologische antijüdische Denkmuster, Verschwörungslegenden und Generalverdachte, die wir überwunden geglaubt haben, in aktuellen politischen Auseinandersetzungen wieder präsent." In jüngster Zeit belegten etwa die Verschwörungserzählungen der Corona-Leugner, wie alte antisemitische Muster wieder neu belebt würden. "Die Schnittmenge zwischen traditionellem christlichem Judenhass und politischem Antisemitismus ist größer als vielfach geglaubt", sagte die evangelische Theologin.