Die junge Rettungsassistentin saß in ihrem Fahrzeug, als sie plötzlich von Wassermassen eingeschlossen wurde. In Todesangst musste sie mit ansehen, wie der Pegel immer weiter stieg. Die 23-Jährige wurde gerettet, aber das Erlebnis hinterließ Spuren bei der jungen Frau. "Das gab es bislang noch nicht, dass reihenweise Rettungskräfte in Lebensgefahr waren", sagt Albrecht Roebke, Koordinator der Notfallseelsorge Bonn/Rhein-Sieg. Der evangelische Pfarrer, sein katholischer Kollege Jürgen Langer sowie rund 60 größtenteils ehrenamtliche Mitarbeiter sind seit Beginn der Hochwasserkatastrophe rund um die Uhr im Einsatz.
Roebke und sein Team waren in den ersten Tagen unmittelbar vor Ort - als Ansprechpartner für die Menschen, die durch das Hochwasser ihre Häuser und Wohnungen verloren oder gar um tote Angehörige trauern. Zunehmend begegnen den Seelsorgerinnen und Seelsorgern nun auch professionelle Helfer wie die junge Rettungsassistentin, die durch ihre Erlebnisse im Einsatz schwer mitgenommen sind.
"Was die Rettungskräfte in den Hochwassergebieten erleben, hat in seinem Ausmaß und in seiner Massivität eine ungewöhnliche Dimension", sagt auch Julia Möller, Psychotherapeutische Psychologin in der Trauma-Ambulanz der LVR-Klinik in Bonn. Sie erwartet für die kommenden Wochen vermehrt Anfragen Helfender, die Unterstützung brauchen.
Wenn Helfer auf Leichen stoßen
"Aber auch die Familien professioneller Helfer machen viel durch", erklärt Roebke. So habe er zum Beispiel erlebt, dass Kinder von Feuerwehrmännern angesichts der Bilder aus den Überschwemmungsgebieten große Angst um ihre Väter haben. "Und woran bislang auch noch keiner gedacht hat, sind die vielen freiwilligen Helfer", berichtet Roebke. Hunderte Freiwillige unterstützen zum Beispiel im Ahrtal seit Beginn der Katastrophe die Aufräumarbeiten. Landwirte oder Bauunternehmer etwa helfen, Häuser und Straßen freizuschaufeln. Andere freiwillige Helfer werden von Shuttle-Bussen privater Initiativen oder von Wohlfahrtsverbänden in die Katastrophenregion gebracht.
"Einen solchen Einsatz von Freiwilligen hat es in diesem Ausmaß bislang nicht gegeben", sagt der Koordinator für Notfall- Seelsorge. "Die Helfer erleben aber zum Teil Situationen, auf die sie überhaupt nicht vorbereitet sind." Das Ausmaß der Zerstörung oder die Konfrontation mit dem Schicksal von Menschen, die alles verloren haben, könnten Menschen extrem belasten, weiß Roebke. Hinzu kommen teilweise auch erschreckende Erlebnisse. So stießen Helfer bei Aufräumarbeiten etwa auf abgerissene Gliedmaßen. Auch einige Leichen wurden von freiwilligen Helfern entdeckt.
Verzögerte Reaktion
Während professionelle Einsatzkräfte in der Regel auf die Möglichkeit der Notfallseelsorge oder psychologischen Hilfe hingewiesen würden, erreiche die Freiwilligen dieses Angebot wohl kaum, fürchtet Roebke. "Hier wäre es wichtig, Freiwillige darauf aufmerksam zu machen, dass sie sich Hilfe holen können."
Noch seien viele Menschen mit Aufräumarbeiten und der Versorgungssicherung beschäftigt, sagt Traumapsychologin Julia Möller. Oft stellten sich Gefühle von Hilflosigkeit, Kontrollverlust und Überforderung erst mit Verzögerung ein, wenn die Menschen wieder etwas zur Ruhe kämen. Dann seien Gespräche mit Notfallseelsorgern oder Therapeuten wichtig, weil sie eine präventive Wirkung hätten, betont Roebke. Durch frühzeitige Hilfe könne die Entwicklung langfristiger Traumata in den allermeisten Fällen verhindert werden.
Doch Möglicherweise stünden gar nicht genügend Seelsorger und Therapeuten zur Verfügung, um die Menschen auch Wochen nach dem Ereignis mit Gesprächsangeboten aufzufangen. "Hier klafft eine Lücke im System," stellt Roebke fest. Für die Zukunft schlägt der Notfallseelsorger vor, einen Pool von ehrenamtlichen Therapeuten für extreme Katastrophenfälle bereitzuhalten.