epd: Bräuchte es aus Ihrer Sicht ein Wort der Kirche als Leitlinie für die gesellschaftliche Diskussion und zur Stärkung der Bauernfamilien?
Andrea Bleher: Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) äußert sich immer wieder zu bestimmten aktuellen Fragestellungen rund um die Landwirtschaft. Seit dem Jahr 2000 tut sie das sogar sehr regelmäßig, beispielsweise 2008 zum Umgang mit Biomasse, 2011 vor der nächsten Förderperiode der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union oder zuletzt 2015 mit dem Impulspapier „Nutztier und Mitgeschöpf“ zu Tierwohl, Ernährungsethik und Nachhaltigkeit aus evangelischer Sicht. Doch: Papier ist geduldig. Deutlich entscheidender ist der Umgang miteinander von Kirche und Landwirtschaft.
Ich plädiere für eine unverkrampfte Haltung der Kirche. Sie sollte beim Thema Landwirtschaft - wie auch bei anderen - gängige Zuschreibungen von 'gut' und 'schlecht' überdenken und genau hinschauen. Bei „Nutztier und Mitgeschöpf“ ist das nach meiner Auffassung ganz gut gelungen. Es ist wichtig, die Leistung konventioneller Landwirtschaft anzuerkennen. Sie ist immer noch die vorwiegende und sie hat in den vergangenen 50 Jahren viel geleistet in Sachen Umweltschutz, Biodiversität, Biotopvernetzung und anderem mehr, vieles davon freiwillig.
Das funktioniert vor allem in Baden-Württemberg super. Das zu sehen und zu würdigen wäre eine Haltung der Kirche, die ich mir wünschen würde. Kirche sollte definieren, was nachhaltig auf Generationen hin gedacht ist. Sie soll dabei keine Reglementierungen aussprechen, sondern besser zum verantwortlichen Handeln aufrufen.
Sie haben Einblick sowohl in bäuerliche Betriebe als auch deren gesellschaftliche Akzeptanz und zudem wissen Sie, welche Interventionsmöglichkeiten Kirche von der Gemeindebasis bis zur EKD-Ebene hat. In welcher Form könnte Kirche der Landwirtschaft Unterstützung geben?
Bleher: Für mich ist die erste und eine sehr wichtige Ebene für solche Fragen die Kirchengemeinde. Vor Ort entscheidet sich, ob bäuerliche Betriebe in die Gemeinde einbezogen werden, ob Bäuerinnen und Bauern gehört werden, ob sie Anerkennung erfahren - auch für ihre Leistungen für Umwelt und Naturschutz. Warum nicht ein Gemeindefest auf einen Hof feiern und bewusst Produkte von den Bauernhöfen der Umgebung konsumieren?
Wahrnehmen, ernst nehmen und wertschätzen - das sollte den Umgang mit den Bauernfamilien prägen, und zwar nicht nur im Blick auf Bioprodukte, sondern die gesamte Landwirtschaft. Das würde „Faitrade vor Ort“ bedeuten, und auch den Bäcker und Metzger von nebenan einbeziehen. Bei uns in der Kirchengemeinde Untermünkheim wird das praktiziert und klappt sehr gut. Dieses konkrete Handeln vor Ort ist nachhaltiger als temporäre Projekte.
Hat Kirche heute überhaupt genug Ahnung von Landwirtschaft, um qualifiziert zum einen auf die gesellschaftliche, zum anderen auf die berufsständische Diskussion Einfluss nehmen zu können?
"Mehr Landwirte an die Tische!"
Bleher: Kirche ist immer auch Teil des gesellschaftlichen Dialogs und bringt sich gut ein. Es gibt zudem das Evangelische Bauernwerk speziell auch für die berufsständische Diskussion. Ich wünsche mir von der Kirche, dass sie bei Themen aus der Landwirtschaft - das reicht vom Glyphosat-Einsatz bis zur Tierhaltung - nicht bewertet, sondern die gesellschaftliche Diskussion moderiert und Fachleute an einen Tisch bringt. Ich denke dabei vor allem auch an die Beteiligung praktizierender Landwirte, solcher, die ihren Lebensunterhalt aus ihrem Hof beziehen. Die Experten von den Universitäten sind auch wichtig, unbestritten. Doch mein Wunsch lautet: Mehr Landwirte an die Tische! Nur die Praktiker können fachlich und auf neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhend klar machen, welche konkreten Auswirkungen bestimmte Entscheidungen haben.
Wenn es an Informationen mangelt - müssen Bauernfamilien auf die Kirche zugehen oder gibt es da auch eine „Holschuld“ der Kirche?
Bleher: Sachlich und gut informiert zu sein liegt in beiderseitigem Interesse. Doch ich sehe eine stärkere Holschuld bei der Kirche, besonders dann, wenn sie beispielsweise ein Impulspapier oder gar ein sogenanntes „Wort“ zu einem Thema vorbereitet. Neben Fachwissenschaftlern und Soziologen müssen dann praktische Landwirte mit im Gesprächsprozess sein. Und auch auf der Kirchengemeindeebene geht es darum, Landwirte verstehen zu wollen, zu sehen, was ein Landwirt leistet. ‚Mehr miteinander reden‘, das empfiehlt auch Brot für die Welt in Württemberg.
Sollte das auch praktische Auswirkungen haben?
Bleher: Selbstverständlich. Denn die Folge wäre beispielsweise bewusstes Einkaufsverhalten. Und das ist beileibe keine Deutschtümelei, wie in manchen Diskussionen dann ins Feld geführt wird. Wenn man durch gezieltes Kaufverhalten dazu beitragen kann, dass die Landwirtschaft als Ganzes sich bei uns halten kann, dann ist das auf Generationen gedacht nachhaltig. Eine weitere Folge wäre, Zielsetzungen mit einer realistischen Perspektive zu unterfüttern.
"Fünf Freiheiten für Tiere"
Nehmen wir das Thema Tierwohl. Da - wie auch bei anderen Aspekten - bringt die Polarisierung „öko gleich gut und konventionell gleich schlecht“ gar nicht wirklich weiter. Wenn ich wissen will, ob es einem Tier gut geht, kann mir der Praktiker beispielsweise anschaulich erklären, dass es dafür fünf „Freiheiten“ braucht: das Freisein von Hunger und Durst, das Freisein von Unbehagen, das Freisein von Schmerz, Verletzungen und Erkrankungen, das Freisein von Angst und Stress und das Freisein zum Ausleben normaler Verhaltensweisen. Gegen diese Freiheiten eines Tiers kann in einer Ökohaltung genauso verstoßen werden wie in einer konventionellen. Entscheidend ist nicht die Etikettierung, sondern der konkrete Alltag. Und dazu muss ich genau hinsehen.
Zu welchen landwirtschaftlichen Themen müsste sich Kirche nach Ihrer Erfahrung und Auffassung heute klar und in der Gesellschaft wahrnehmbar äußern?
Bleher: Wie ich eingangs schon sagte, äußert sich Kirche zu aktuellen Themen schon. Aufs Ganze betrachtet denke ich, dass ihr Ziel sein muss, Menschen zum verantwortlichen Umgang mit der Schöpfung zu befähigen. Nachhaltigkeit muss ihr Thema sein, das Denken in Kreisläufen und mit Blick auf die nächste Generation. Landwirte tun dies übrigens schon immer. Kirche sollte bei landwirtschaftlichen Themen - und auch bei allen anderen - entlarven, wo ideologisches Denken das Handeln prägt. Wo Emotionen und Ideologien vornean stehen, bleibt nämlich das wissenschaftlich Nachprüfbare und damit Realität auf der Strecke.
Reicht es, wenn Kirche sich zu Landwirtschaft zu bestimmten Anlässen wie dem Erntedankfest oder dem Schöpfungstag äußert?
Bleher: Es gibt eine gute Tradition der Anlässe wie das Erntedankfest, den Schöpfungstag oder auch Erntebittgottesdienste. Sie alle gemeinsam mit Landwirten zu feiern ist das Mindeste, was Kirche tun kann. Darüber hinaus ist aber im Alltag die differenzierte Haltung wichtig bei allen Äußerungen - und nicht Ideologien zu folgen. Kirche sollte allen Landwirten zutrauen, dass sie nachhaltig handeln. Kirche sollte auch nicht die heile Welt erschaffen wollen, das wäre sogar unbiblisch. Aber sie sollte fördern, dass Menschen die Schöpfung mit demütigem Respekt behandeln.
Was kann Kirche praktisch tun, um gute, nachhaltige Landwirtschaft bekannt zu machen?
Bleher: Dazu müssen Kirche - insbesondre Kirchengemeinde vor Ort- und Landwirte sich kennen, sich respektieren - und dann gegebene Angebote nutzen. Da braucht es keine Extra-Aktionen, sondern einfach den Rückgriff auf die große Vielfalt an Bildungsangeboten, die Kirche schon hat, von Kinderkirche und Jungschar und Akademien bis zum Bauernwerk und dem Verein Stadt-Land-Partnerschaft. Kirche kann sich dabei sogar vernetzen mit bestehenden bäuerlichen Angeboten, etwa den Höfen, die sich als „Lernort Bauernhof“ schon zur Verfügung stellen. Was man bei allem unbedingt beachten sollte ist, konkrete Begegnungen zu schaffen und konkrete Fragen zu stellen und aufmerksam aufeinander zu hören. Viele Landwirte stehen gerne zur Verfügung und haben viel guten Willen, aber wenig überschüssige Zeit.