Die Pandemie hat sie auf die Idee gebracht: Alle Welt redet von Infektionen. Man wollte daher einmal untersuchen, wie sich die drei Religionen, Judentum, Christentum und Islam, mit dem Thema Reinheit befassen. Im Bayerischen Forschungszentrum für Interreligiöse Diskurse (BaFID) an der Universität Erlangen-Nürnberg sind also die Wissenschaftler tief in dieses Thema eingetaucht und haben fundierte, kluge Texte verfasst. "Daraus entstand ein langes Papier", erzählt der Leiter des Instituts, der Orientalistik-Professor Georges Tamer, und man hört dem Satz an, wie umfangreich das Ergebnis war.
Aber im BaFID wollten sie zum Thema Reinheit auch ein Video für Jugendliche drehen. "Ein Film, in dem die Tiefe des Themas nicht preisgegeben wird", sagt Tamer. Und weil es "äußerst schwierig" sei, einen Wissenschaftler dazu zu bringen, Dinge so zu formulieren, dass daraus ein Film für Jugendliche entstehen kann, sei das ein Ringen gewesen. "Aber daraus ist etwas geworden".
Einziges Zentrum im deutschsprachigen Raum
Am Beispiel der Reinheit kann Tamer zeigen, dass die Arbeit des Forschungszentrums, das erst am 16. April ganz offiziell eröffnet wird, auf zwei Beinen steht. Es will Grundlagenforschung und Wissenstransfer betreiben. Als einzige Einrichtung im deutschsprachigen Raum betrachte man dabei die drei großen Buchreligionen im Diskurs. "Das ist unser Alleinstellungsmerkmale", erklärt der Erfinder der Einrichtung.
Barmherzigkeit, die Seele, Gut und Böse, Sexualität - solche Begriffe und Kontexte nimmt man sich vor. Die Beschäftigten des Zentrums, assoziierte Wissenschaftler der Uni Erlangen und internationale Wissenschaftler, packen die Themen an. In der Schriftenreihe "Key Concepts in interreligiouses Discourses" sind bereits einige Bände erschienen. Aus ihr könnte eine Religions-Enzyklopädie werden, stellt sich Tamer vor. "Es ist ein umfangreiches Vorhaben", gibt er zu, "aber genau darin liegt der Charme, je tiefer wir eindringen, umso grenzenloser wird es".
Energien des Zusammenhalts
"Redliche Wissenschaft", die nichts erfinde und nichts weglasse und die Zusammenhänge darstelle, sei das beste Mittel, Annäherung zwischen den Religionen zu schaffen, ist er überzeugt. "Das ist die neue Aufklärung, die unsere Gesellschaft braucht". Aufgabe von BaFID sei es, Religionen als "Energien" für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, für friedliches Miteinander und für die Annäherung zwischen den Menschen zu präsentieren.
Wichtig ist ihm die Aufklärung besonders im Bezug auf die muslimischen Mitbürger. Denn die Gesellschaft sehe sich seit relativ kurzen 40 Jahren mit Mitbürgern konfrontiert, die andere Bräuche und Gewohnheiten mitbrächten, stellt Tamer fest. "Die Spannungen nehmen hier zu, die Diskrepanzen nehmen zu. Da muss viel getan werden, damit sich unschöne Momente der deutschen Geschichte nicht wiederholen".
Von anderen Religionen lernen
"Der Mensch ist der Feind dessen, was er nicht kennt", erklärt Tamer. "Wenn ich verstehe und begreife, warum meine Nachbarn jüdischen Glaubens ab Freitagabend nichts mehr tun und sich Gott widmen, dann habe ich großen Respekt, lerne von ihnen, und erkenne sie als Andersgläubige an, die am Aufbau der Gesellschaft mitwirken", ist der Leiter des Forschungszentrums überzeugt.
"Wie man die Forschungsergebnisse an den Mann und die Frau bringen kann, dafür arbeitet das BaFID gerade an einem Konzept für den Wissenstransfer", berichtet Kirsten Waltert, im Forschungszentrum wissenschaftliche Referentin und für Medien und Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Zwei Arbeitsgruppen basteln an zielgruppenspezifischen Formaten für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, sagt sie. Mehr wolle man zurzeit nicht verraten, weil es noch "ungelegte Eier" seien.
Auch Hinduismus und Buddhismus einbeziehen
Dem Forschungszentrum erschließen die digitalen Medien neue Horizonte. Neben der Buchreihe und einer Zeitschrift zu den Ringvorlesungen bedient man sich einer dreisprachigen Website, Erklärvideos, vor allem in arabischer Sprache, tritt bei Facebook auf und twittert. Kirsten Waltert ist verantwortlich für einen Interreligiösen Kalender, der mit gründlich erarbeiteten Grundlagen bestückt werden soll. Auch auf Anfragen reagiert das Team. Es unterstützt die Lehrerin eines Erlanger Gymnasiums, die um Inhalte für ein Seminar über die Religionen bat, erzählt Tamer.
Er kann sich noch mehr vorstellen. Eine seiner Visionen: Er will auch andere Weltreligionen, den Hinduismus und den Buddhismus, in die Diskurse einbeziehen. Für die nächsten drei Jahre steht die Finanzierung der Arbeit durch Gelder aus bayerischem Wissenschaftsministerium und des Innenministeriums. Aber Tamer ist sehr zuversichtlich, dass es auch danach weitergeht. "Ich hoffe, das Institut wird so lange stehen, wie die Universität."