Der Corona-Lockdown hält die Telefonseelsorge der Stadtmission Nürnberg auf Trab. Die wesentlichen Themen der vergangenen Jahre - Angst, Einsamkeit und Existenzsorgen - werden wohl gleich bleiben, aber "Corona funktioniert wie ein Brennglas", sagt Constanze Lenz (Name geändert). Lenz engagiert sich seit über zehn Jahren ehrenamtlich, hört am Telefon Anruferinnen und Anrufern mit ihren Sorgen zu. Im Kern sind es zwar keine ganz neuen Probleme, aber Lockdown oder Homeschooling wirken sich deutlich aus.
"Corona-Themen" sind für Lenz beispielsweise die Angst, nach der Kurzarbeit den Job zu verlieren. Beziehungskonflikte in den Familien verschärfen sich, weil in der kleinen Wohnung auch noch die Kinder irgendwie beschult werden müssen. Außerdem sind seit dem ersten Lockdown vor einem Jahr viele therapeutische Hilfsangebote weggebrochen oder nur bedingt wieder hochgefahren worden. Die Telefonseelsorgerin denkt unter anderem an die Suchtberatung, die Anonymen Alkoholiker oder andere Selbsthilfegruppen. Berufliche Videomeetings aus dem Homeoffice und ein minimiertes gesellschaftliches Leben sorgten auch für mehr Einsamkeit. "Ich habe keinen Kontakt mehr", hat ein junger Mann Lenz während ihrer Nachtschicht berichtet.
Einsamkeit und Angst um den Arbeitsplatz
"Es rufen mehr und auch jüngere Männer an, das war vor Corona anders", sagt Constanze Lenz, die eine von zwei Ehrenamtsprecherinnen des 70-köpfigen Teams der Telefonseelsorge ist. Eine ähnliche Erfahrung macht die zweite Ehrenamtssprecherin Simone Reiter (Name geändert). Ein Mann schilderte ihr seine Einsamkeit. Nicht einmal ins Café könne er noch gehen. Die Bestellung von Kaffee und Kuchen bei der Bedienung sei ein wesentlicher persönlicher Kontakt gewesen. Reiter beobachtet gerade seit der zweiten Corona-Welle auch mehr Anrufer mit Angst um den Arbeitsplatz.
Wenn in den Lockdown die eigentlich typische Zeit der Familientreffen fällt, wird für viele Menschen die persönliche Not noch größer. Dann verschärfe sich das Gefühl des Verlassenseins. "Feiertage wie Weihnachten oder Ostern machen die Einsamkeit stärker zum Thema."
Die steigende Zahl der telefonisch Hilfesuchenden hat aus Reiters Sicht weitere nachvollziehbare Gründe. Die "Corona-Krise macht offener für Hilfsangebote", beobachtet sie. Sorgengeplagte Menschen stigmatisieren sich mit einem Anruf nicht selber, weil das "Pandemie-Problem globaler ist". So falle die Hemmung davor, per Telefon jemanden zum Zuhören zu haben.
Ganz einfach ist es allerdings nicht, über die kostenlose Rufnummer über die persönlichen Nöte zu sprechen, weiß Pfarrerin Birgit Dier, die bei der Stadtmission Nürnberg die Telefonseelsorge leitet. Mit Corona habe sich die Zahl der vergeblichen Anrufe erhöht. Mittlerweile erreiche nur jeder neunte oder jeder zehnte Anrufer auf Anhieb einen der besonders geschulten Mitarbeiter der Telefonseelsorge. Die Länge der Gespräche hat sich in Pandemie-Zeiten erhöht.
"Gespräche werden immer trostloser"
Der wachsende Gesprächsbedarf der Menschen hat auch die Belastung ihrer Mitarbeiter verstärkt. Eine langjährig erfahrene Mitarbeiterin gab ihr das Feedback: "Die Gespräche werden immer trostloser", sagt Dier. In den anonym geführten Gesprächen werden die Anliegen nicht bewertet oder verurteilt. Es gehe zunächst einmal darum, die Probleme der Anrufer anzunehmen und den Hilfesuchenden als Menschen wertzuschätzen. Vorschnelle Ratschläge vonseiten der ehrenamtlichen Telefonseelsorger sind verpönt, erklärt die Pfarrerin.
Um für die Notsituationen am Telefon die notwendige Kompetenz zu haben, durchlaufen Neulinge zunächst eine einjährige Schulung. Bei Dier beginnt die nächste Runde im Frühjahr 2022. Schon jetzt ist die Bewerberliste mit 80 Anwärterinnen und Anwärtern ziemlich lang. Nur rund 15 Personen werden am Ende für die Schulung ausgewählt. Der wachsenden Zahl der Anrufer auf der einen Seite stehen auch mehr Menschen gegenüber, die sich ehrenamtlich engagieren wollen, konstatiert Dier. Manche hätten in der Pandemie einfach mehr Zeit, manche würden durch das eigene Erleben von Einsamkeit motiviert. Und manchen gehe es so gut, dass sie einfach helfen und etwas zurückgeben wollten.