Von Ruhestand kann bei Olaf Becher eigentlich ohnehin keine Rede sein. Seit drei Jahren werkelt der 66-jährige evangelische Pfarrer schon an einem Altbau im Mittelrheintal, den er sich nach der Pensionierung gekauft hatte. Nun hat er sich eine zusätzliche große Aufgabe gesucht: Seit Anfang des Jahres ist der Theologe offiziell wieder in den Dienst der hessen-nassauischen Landeskirche (EKHN) zurückgekehrt und Pfarrer für die Kirchengemeinden Welterod und Oberwallmenach im Taunus. Vorerst springt er vertretungsweise bis zum Herbst ein, aber auch eine Verlängerung ist möglich.
"Es wäre schade, eine solche Gemeinde längere Zeit vakant zu lassen", begründet er sein Engagement. "Dann verkümmert sie." Außerdem erinnerten ihn die Dörfer an seine erste Pfarrstelle im Vogelsberg: "Noch heute habe ich Heimweh nach diesen Orten." Insgesamt neun kleine Ortschaften im rheinland-pfälzischen Rhein-Lahn-Kreis und ein zehntes Dorf direkt hinter der Landesgrenze zu Hessen gehören jetzt zu Bechers Zuständigkeitsbereich, vier Kirchgebäude und zwei Kirchenvorstände. Da die kleinen Siedlungen jeweils nur wenige hundert Einwohner haben, ist für das Gebiet trotz der beeindruckenden Größe nur eine halbe Pfarrstelle vorgesehen.
Genau darin liegt das Problem: Nach dem Weggang der bisherigen Gemeindepfarrerin im Sommer 2020 gelang es der Kirche bislang nicht, eine dauerhafte Nachfolgeregelung zu finden. Jüngere Pfarrer mit beruftätigem Partner scheuen oft vor einem Umzug in die ländliche Region zurück. Wer das Landleben nicht kenne, werde es in der Gegend schwer haben, glaubt sogar Olaf Becher, der in seinem Berufsleben auch als Schulpfarrer und Sozialarbeiter tätig war und nebenher eine Schüler-Cafeteria betrieb.
Auch für ihn war der Start mitten in der Pandemie nicht einfach: "Ich habe eigentlich keine Chance, Leute kennenzulernen." Die wenigen Gemeindemitglieder, die an der Amtseinführung teilnehmen durften, würde er ohne Maske wohl nicht einmal wiedererkennen.
Klare EKHN-Regeln für einen solchen Unruhestand
Wer von der evangelischen Kirche zum Pfarrer oder Pastor ordiniert wird, bleibt dies grundsätzlich sein Leben lang. Daher ist es keine Seltenheit, wenn Ruhestandspfarrer gelegentlich vertretungsweise einen Sonntagsgottesdienst oder eine Beerdigung übernehmen. Dass jemand aus dem Ruhestand wieder ins reguläre Arbeitsleben zurückkehrt, ist bislang eine große Ausnahme. Allerdings hat die EKHN für einen solchen Unruhestand inzwischen klare Regeln aufgestellt. Pfarrerinnen und Pfarrer können demnach maximal für eine Dauer von maximal drei Jahren weitermachen. Und mit 70 ist definitiv Schluss.
Die Gründe, warum eine Stelle längere Zeit mit Ruheständlern besetzt werden, sind unterschiedlich. Eugen Eckert, Frankfurter "Stadionpfarrer" und Sport-Referent der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), wird im Juni pensioniert, weiß aber bereits, dass er danach erst einmal weiterarbeiten wird. Angesichts der schrumpfenden Kirchenmittel sei es höchst ungewiss, ob seine Stelle noch einmal wiederbesetzt würde. "Das ist ein bisschen wie ein Spiel auf Zeit", sagt er. "Die endgültige Entscheidung wird dadurch vertagt."
Eckert war für Kontakte zwischen Kirche und Sportverbänden zuständig, in der Stadionkappelle der Frankfurter Commerzbank-Arena traute er etliche fußballbegeisterte Paare und taufte deren Kinder. Viele weitere Anfragen lägen noch auf seinem Tisch - für die Zeit nach einem Abflauen der Pandemie. Finanziell sei die Arbeit für die Kirche im Rentenalter nicht besonders attraktiv, berichtet der Pfarrer. Zusätzlich zur Pension gebe es nur eine "kleine Honorierung", die noch dazu hoch besteuert werde.
Etwas anders liegt ein Fall, in der eine Stelleninhaberin ernsthaft erkrankte und deshalb ihre Vorgängerin zunächst mit halber Stelle wieder an den früheren Arbeitsplatz zurückkehrte. Mit ihren Dienstvorgesetzten gebe es klare Absprachen. Sie sei verlässlich im Umfang einer halben Stelle verfügbar, aber niemand verlange mehr von ihr. Auch Olaf Becher hat sich mit der Landeskirche auf einige Regeln geeinigt. So wird er nicht ins leerstehende Pfarrhaus umziehen, sondern in seinem Domizil am Rhein bleiben: "Fahren muss man dort sowieso. Da ist es egal, von wo."