Der Illustrator Leo Leowald hat die Parallelen zwischen Religion und Fußball in einer Illustration für evangelisch.de verbildlicht. Das Poster gibt es zum download, nicht nur für Fußballfans.
Illustration: Leo Leowald
Der Illustrator Leo Leowald hat die Parallelen zwischen Religion und Fußball in einer Illustration für evangelisch.de verbildlicht. Das Poster gibt es zum download, nicht nur für Fußballfans.
Vom "Fußballgott" und anderen Wundern
Zum Verhältnis von Fußball und christlichem Glauben
Fußball, die inzwischen durch und durch kommerzialisierte Sportart, wird von Fans oft mit religiöser Inbrunst gelebt. In der Tat erinnert vieles, was sich in der Fankultur entwickelt hat, an religiöse oder religionsähnliche Elemente. Ist das alles nur eine Form von kollektiver Ironie und Selbstinszenierung einer neuen Fankultur - oder steckt da mehr dahinter?

Ein bekannter Popsong lautet in der deutschen Übersetzung ungefähr so: "Wenn du durch den Sturm gehst, geh' erhobenen Hauptes und habe keine Angst vor der Dunkelheit, am Ende des Sturms gibt es wieder einen goldenen Himmel." Es endet mit den Worten "geh' mit Hoffnung im Herzen und du wirst niemals alleine gehen." Das Original stammt von Gerry And The Pacemakers. Man singt es in Fußballstadien, es kam aus England herübergeschwappt und wurde unter dem Titel "You'll never walk alone" bekannt. Man meint, eine späte Übersetzung von Psalm 23 entdeckt zu haben, wo es ja bekanntlich heißt: "Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich."

Eines der so benannten Unglücke für Fußballfans könnte wie folgt umschrieben werden: Fußballvereine sind heute in erster Linie hoch spezialisierte Wirtschaftsunternehmen, deren Kapital darin besteht, dass ihre Angestellten so viele Spiele wie möglich gewinnen und dass sie die Emotionen ihrer Kundschaft kennen, um noch mehr Leibchen und Käppchen zu verkaufen. Der zahlende Fan jedoch scheint sich eher in die entgegengesetzte Richtung zu bewegen, was sich zum Beispiel an der Entwicklung der Fußballsprache ablesen lässt.

Dass Fans in ihr Stadion "pilgern", ist heute so normal, dass die Urbedeutung des Begriffs schon fast in den Hintergrund tritt. "Choral"-ähnlich die Fangesänge, angestimmt in liturgischer Kleidung, vulgo Kutte. Bei der Wahl des "Sündenbocks", der ja bekanntlich auch aus der Bibel stammt, hat der Fan die Wahl zwischen dem Schiedsrichter und dem Trainer; ein "Opfer", das die Mannschaft für einen Grottenkick entschuldet und für neue Einsätze spielfähig macht. Wer einmal erlebt hat, wie nach einer errungenen Meisterschaft der (im Zweifelsfall "heilige") Rasen zerfetzt, eingepackt und mitgenommen wird, wer die Suche nach dem einzig echten WM-Ball des Endspiels von 1954 miterlebt hat, der fühlt sich an Reliquien erinnert, die in Hausaltären und in Kirchen verehrt werden. Schließlich darf die zum Arm des Argentiniers Diego Maradona gehörige "Hand Gottes" natürlich nicht vergessen werden (Es konstituierte sich immerhin inzwischen die "Iglesia Maradona" (die "Kirche des heiligen Maradona"), deren zentrales Gebet mit den Worten "Diego unser, der du bist in Kuba" beginnt, und die ihre Anhängerzahl heute auf etwa 40 000 beziffert).

Begraben in Hörweite des Stadions

Und ein Element, das schon ein wenig älter ist, ist natürlich der sprichwörtliche "Fußballgott". Als der überaus engagierte Fußballreporter Herbert Zimmermann 1954  in die Mikrofone zu sagen wagte, der Nationaltorwart Toni Turek sei wegen einer besonders gelungenen Abwehraktion ein "Fußballgott", da schaltete sich damals noch Bundespräsident Heuss persönlich ein: Zimmermann solle sich, bitteschön, für diese Aussage entschuldigen. Auf der Schallplatte, auf der die Reportage veröffentlicht  wurde, ist der "Fußballgott" folgerichtig herausredigiert worden. Von Zimmermann wird kolportiert, er habe im Nachhinein ein unverfängliches "Toni, du bist Gold wert" in die Reportage hineingesprochen.

Nun gibt es in deutschen Fußballstadien seit einigen Jahren aber auch eine neue Entwicklung: Man kann zwischen VIP-Lounge und Stammtischbereich beten und Ruhe finden (wie in der sehr schönen Stadionkapelle auf Schalke). Man kann aber auch im Mittelkreis des BVB-Stadions in Dortmund heiraten, wofür ein nicht ganz geringfügiger Aufschlag auf die Standesamtsgebühren fällig wird. Das Ende eines irdischen Fans muss in Hamburg nicht das Ende der Liebe zum Verein bedeuten. Hier kann sich der HSV-Fan auf dem HSV-Friedhof zur letzten Ruhe betten und die künftig anstehenden Relegationsspiele gewissermaßen in Hörweite verfolgen. Auf dem Gräberfeld von Schalke 04 sind genau 1904 Gräber zu vergeben, darunter die Grablege 09. Die hier allerdings 8/1 heißt, damit bloß nichts an den ungeliebten Nachbarn aus der verbotenen Stadt nördlich von Lüdenscheid erinnert, jenen Verein Borussia Dortmund - BVB 09, der in eben jenem Jahr 1909 von katholischen Meßdienern gegründet wurde. 

Die Kapelle des Olympiastadions Berlin etwa gilt als eine der architektonisch schönsten weltweit. Wer hier vor Gott den Bund der Ehe schließen oder sein Kind in die Gemeinschaft der Christen aufnehmen lassen möchte, den verweist die Homepage des Fußball-Bundesligisten an das fachkompetente Special & Business Event Team der Olympiastadion Berlin GmbH. Für Spenden pro Weiheakt in Höhe von 200 Euro ist man dankbar.

Nun hat die Religiosität im Fußball natürlich ihre Grenzen. Niemand hofft auf die endgültige Erlösung, den ewigen Pokalsieg - weil es dann ja langweilig würde. Die Karten werden nach jeder Saison neu gemischt, man fängt wieder bei null an. Doch wo ist die (pseudo)-religiöse Anziehungskraft von Vereinen eigentlich am größten?

Vielleicht in Gelsenkirchen, bei den Anhängern von Schalke 04. Schalke-Fans blicken auf eine ewigliche Tradition zurück, in der nicht nur das Aufwachsen im Schatten der Fördertürme in Wanne, Husen-Kurl oder Bottrop eine Rolle spielt, sondern auch das gemeinsame Leiderleben im Frühsommer 2001. Damals gab es vor dem letzten Spieltag die Situation, dass dem FC Bayern München ein Unentschieden gereicht hätte, um den Zweitplatzierten Schalke auf Abstand zu halten. Schalke aber führte und der FC Bayern geriet bei seinem Spiel gleichzeitig in Rückstand. Als in Schalke abgepfiffen wurde, waren die "Knappen" für vier Minuten und 38 Sekunden Deutscher Meister – bis ein Bayern-Treffer in der 95. Minute die inzwischen angelaufene Schalker Meisterfeier in einem Tränenmeer auflöste. Schalke-Manager Rudi Assauer erklärte daraufhin den Fußballgott für tot. So ist das wohl: Am Ende gewinnen immer die Bayern, wahrscheinlich die religionsfernste Vereinsmannschaft, die man sich vorstellen kann. Man benötigt keinen Glauben an die nächste Bayern-Meisterschaft, man erwartet sie spätestens ab Frühjahr. Alle anderen benötigen ein Wunder…!

Lesen Sie dazu das Interview mit Bernhard Felmberg, dem ehemaligen Sportbeauftragten der EKD und ehrenamtlichen Pfarrer der Stadionkapelle im Berliner Olympiastadion.

Hier geht es zum Download des "Heilig-Geist-Arena"-Posters