Vertreter aus Politik und Kirchen fordern mit Nachdruck eine umfassende Aufarbeitung von Missbrauchsfällen und Veränderungen in der Kirche. "Ich empfehle wirklich allen katholischen und evangelischen Kirchenleuten, sich einen starken Ruck für die Aufarbeitung zu geben", sagte der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, dem epd. Annette Schavan, ehemalige deutsche Botschafterin beim Heiligen Stuhl in Rom, drang auf eine kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die Kirchenaktivistin Lisa Kötter warf der katholischen Kirche fehlendes Verantwortungsbewusstsein vor.
Rörig sagte, er wünsche sich eine Lösung im Streit um die Missbrauchsgutachten in Köln. Der dortige katholische Erzbischof Rainer Maria Woelki steht in der Kritik, weil er ein 2018 von ihm beauftragtes und inzwischen fertiggestelltes Missbrauchsgutachten einer Münchner Kanzlei nicht veröffentlichen will. Stattdessen gab der Kardinal ein neues Gutachten in Auftrag, das am 18. März veröffentlicht werden soll. Woelki wird zudem Vertuschung vorgeworfen, weil er 2015 nach der Prüfung von Personalakten einen mutmaßlichen Missbrauchsfall nicht an den Apostolischen Stuhl in Rom gemeldet hat.
Rörig forderte, den Prozess zur Einrichtung unabhängiger Aufarbeitungskommissionen nicht zu beeinträchtigen. Solche Kommissionen sieht die "Gemeinsame Erklärung" vor, die Rörig im vergangenen Jahr mit der katholischen Deutschen Bischofskonferenz unterzeichnet hatte. Der Prozess sei in vielen Diözesen, auch in Köln, bereits gestartet. "Das Erzbistum sollte zügig Transparenz sicherstellen", forderte Rörig. Mit Blick auf die evangelische Kirche äußerte er sich zuversichtlich, auch mit ihr bald eine Vereinbarung über die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen zu unterzeichnen.
Schavan fordert "Wechsel der Perspektive"
Das Präsidium der Diözesanversammlung im Bistum Limburg erklärte am Sonntag, man blicke "mit großer Sorge" auf die Vorgänge in Köln, auf den dort um sich greifenden Vertrauensverlust und die zunehmende Schwierigkeit der Ausübung des Amtes durch Kardinal Woelki. Transparenz, Offenheit und schonungsloser Aufklärungswille, so wie ihn die Deutsche Bischofskonferenz angekündigt habe, seien in Köln nicht erkennbar.
Die Kirchenaktivistin Kötter sagte am Samstag im Deutschlandfunk, das Problem sei nicht allein Woelkis Verhalten. Beim Thema Missbrauch gebärde die katholische Kirche sich autoritär und fühle sich nicht in der Begründungspflicht. Ein Rücktritt von Woelki würde allein nicht helfen, sagte die Mitbegründerin der Protestbewegung Maria 2.0: "Das wäre symbolhaft."
Rekowski spricht von "ökumenischer Haftungsgemeinschaft"
Schavan forderte Konsequenzen aus den Missbrauchsskandalen in der katholischen Kirche. Über lange Zeit sei das Wohl der Kirche wichtiger gewesen als das Schicksal der Betroffenen, kritisierte sie in der "Rheinischen Post" (Montag). "Nun muss ein Wechsel der Perspektive gelingen."
Der rheinischen Präses Manfred Rekowski sagte dem epd, den Vertrauensverlust durch den Umgang des Erzbistums Köln mit der Missbrauchsfrage bekomme auch die evangelische Kirche zu spüren. Es gebe "so etwas wie eine ökumenische Haftungsgemeinschaft". Grundsätzlich sei es wichtig, "dass man sehr sensibel und verlässlich mit dem Thema Missbrauch umgehen und alles tun muss, was der Aufklärung dient", betonte der leitende Theologe der Evangelischen Kirche im Rheinland.