Christian Schad
© epd-bild/Thomas Lohnes
Der 62-jährige Theologe Christian Schad blickt nach vorne: Die Evangelische Kirche der Pfalz werde als kleiner gewordene Kirche weiter bestehen. Doch müsse sie verstärkt versuchen, auch kirchenferne Menschen für sich zu gewinnen.
Schad: Kirche muss vermehrt auch kirchenferne Menschen ansprechen
Scheidender Kirchenpräsident: Nicht in Nische der Gleichgesinnten zurückziehen
Der pfälzische Kirchenpräsident Christian Schad geht am 1. März offiziell in den Ruhestand. In einem epd-Gespräch zieht der 62-jährige Theologe zum Ende seiner mehr als zwölfjährigen Amtszeit Bilanz und blickt nach vorne: Die Evangelische Kirche der Pfalz werde als kleiner gewordene Kirche weiter bestehen. Doch müsse sie verstärkt versuchen, auch kirchenferne Menschen für sich zu gewinnen.
12.02.2021
epd
Klaus Koch und Alexander Lang

epd: Herr Kirchenpräsident, wie sehr bedauern Sie es, dass Ihr Abschied in Corona-Zeiten so distanziert ausfallen muss?

Christian Schad: In elementarer Weise hat die Corona-Pandemie unseren Alltag und Sonntag verändert. Eine Ent-Selbstverständlichung hat eingesetzt. Und Alternativen entwickeln sich erst langsam zu neuen Normalitäten. So sehr ich unter der zunehmenden Aufhebung von unmittelbarer Face-to-face-Kommunikation leide, habe ich doch in den letzten Monaten dank der Vielzahl digitaler Formate auch die Erfahrung gemacht, dass sich soziale Nähe einstellen kann trotz des einzuhaltenden körperlichen Abstands.

Sie haben einmal gesagt, dass Glaube nur durch persönliche Begegnung und Begleitung entsteht. Ist das also momentan wegen Corona nicht möglich?

Schad: Corona markiert in der Tat einen Kulturwandel, der größtenteils mit dem digitalen Wandel einhergeht. Inzwischen ist das Netz zu einem umfassenden Kommunikationskanal geworden, über den vermehrt auch religiöse Inhalte transportiert werden. Zugleich bin ich davon überzeugt: Unmittelbare persönliche Begegnungen "mit allen Sinnen" werden ihren Platz behaupten. Man kann eben einen Menschen nicht digital umarmen! So sehr freilich die einfache Gegenüberstellung von "virtuell" und "real" an der Erfahrung dieser Tage zerbricht, so wenig sind digitale und analoge Kommunikation Alternativen. Beide werden sich in Zukunft in Gestalt hybrider Formate noch sehr viel stärker wechselseitig ergänzen. Die digitale Transformation fordert uns gerade als Kirche heraus, über Grunddimensionen des Lebens nachzudenken.

Verstärkt Corona den Traditionsabbruch in der Kirche?

Schad: Ja und nein. Einerseits werden Gewohnheiten und Rhythmen, wie der Kirchgang an Sonn- und Feiertagen, durch die notwendigen Einschränkungen infragegestellt. Dies kann zum Abbruch von Selbstverständlichkeiten führen. Andererseits habe ich in der Advents- und Weihnachtszeit erlebt, wie dankbar Menschen sowohl für die Präsenzgottesdienste in unseren Kirchen waren als auch für Fernsehgottesdienste und gestreamte Andachten ihrer Kirchengemeinde.

"Nicht warten, bis die Menschen zu uns kommen, sondern auf sie zugehen"

Entscheidend ist, dass wir in Zeiten des Traditionsabbruchs Formen des Traditionsanschlusses ermöglichen, und zwar auf ganz unterschiedlichen Wegen. Dass wir nicht warten, bis die Menschen zu uns kommen, sondern auf sie zugehen, gerade auch auf die, die nach tragfähigen Antworten für ihr Leben suchen, und dabei das Orientierungspotenzial des christlichen Glaubens deutlich und sichtbar profilieren.

Das Ziel ist aber, dass man seinen Glauben missionarisch aussendet?

Schad: Ja, auch als kleiner werdende Kirche haben wir den Auftrag, "die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk", wie es die Barmer Theologische Erklärung ausdrückt. Wir ziehen uns nicht in die Nische der Gleichgesinnten zurück, sondern suchen das Gespräch gerade mit den Zweiflern, den Fragenden und den religiös scheinbar Indifferenten, die auf der Seite der säkularen Option stehen. Darum: rausgehen, sensibel hinhören und sagen, was uns trägt im Leben und im Sterben. Und widersprechen, wo Hass gesät und Ängste verstärkt werden. Dazu gehört auch, dass wir unsere Spiritualität im öffentlichen Raum zeigen. Ich denke dabei an die Mittags- und Abendgebete, das Offene Singen und Musizieren auf den Marktplätzen während des Reformations- und des Unionsjubiläums. Sowie an das ökumenische Gebetsläuten in Zeiten von Corona.

Die Kirche wird oft mit ihren Anliegen nicht verstanden, muss sie zeitgemäßer sprechen?

Schad: Ich sehe als eine Hauptaufgabe einer öffentlichen Kirche: die uns anvertrauten biblischen Traditionen für die ganze Gesellschaft zu entfalten. Also plausibel zu machen, warum die christlichen Orientierungen Sinn machen, indem sie etwa Haltungen wie Toleranz, Nächstenliebe, Gemeinsinn, aber auch den zivilen Umgang mit Unterschieden, mit Fremdheit, mit der Andersartigkeit des anderen, entstehen lassen; auch Regenerationskräfte der Humanität und des Friedens freisetzen. Kirche ist für mich der Ort einer weitreichenden Sprache, die klar ist, mitfühlend und wahrhaftig. Und die auch mit unbeantworteten Fragen leben lässt.

Was können Kirchengemeinden in einer Situation, in der Kirche keine ethisch-moralische Meinungsführerschaft mehr besitzt, ganz praktisch tun?

Schad: In der Tat, wir befinden uns in einer religiös und weltanschaulich pluralen Gesellschaft. Der in ihr stattfindende demokratische Diskurs lebt davon, dass sich die unterschiedlichen Gemeinschaften mit ihren je eigenen Überzeugungen leidenschaftlich einbringen. Eine pluralitätsfähige Kirche bejaht die Vielfalt und tritt zugleich auf der Basis des biblisch begründeten christlichen Glaubens für ein klares Profil ein. Denn nur, wer zum eigenen steht, kann anderes als anderes annehmen. Es geht um Identität und Verständigung, also darum, die christliche Lebenshaltung so zur Geltung zu bringen, dass von ihr Impulse, auch Zumutungen ausgehen, die der Öffentlichkeit als Ganzer zugutekommen.

"Mit allen gesellschaftlichen Kräften guten Willens in den Dialog und in Kooperation  treten"

So haben wir uns etwa 2015 angesichts der zu uns gekommenen Migranten nicht nur verbal gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit gewehrt, sondern uns aufgrund einer Ethik der Einfühlung auch für Flüchtlinge und Asylsuchende konkret eingesetzt. Aus unseren ureigenen Glaubensüberzeugungen haben wir gehandelt und damit einen gesellschaftlichen Beitrag zur Integration geleistet. Kirche und Diakonie gestalten soziale Räume mit. Insofern plädiere ich dafür, mit allen gesellschaftlichen Kräften guten Willens in den Dialog und in Kooperation zu treten.

Im Rückblick auf 30 Jahre im Landeskirchenrat als Referent, Oberkirchenrat und Kirchenpräsident: Was waren Ihre größten "Erfolge"?

Schad: Nicht die großen Events waren für mich das Wesentliche. Vielmehr ging es mir darum, vor Ort zu sein. Auf Menschen zuzugehen, sich auf sie einzulassen und dabei den christlichen Glauben ins Gespräch zu bringen. Darüber hinaus habe ich mich für zukunftsfähige Strukturen eingesetzt. Konkret: Kooperationen von Kirchengemeinden und Kirchenbezirken gefördert, um durch ein vernetztes Miteinander und gemeinsam erarbeitete Schwerpunkte in der Fläche vielfältig präsent zu bleiben.

Im ökumenischen Dialog habe ich gelernt, dass die Frage nach der Grenze trennt, die Frage nach der gemeinsamen Mitte aber zusammenführt. Eine Folge des gewachsenen Vertrauens ist der jetzt beginnende Prozess "Zusammen Wachsen". Wo immer es theologisch geboten und strukturell sinnvoll ist, sollen konkrete Kooperationen zwischen Bistum und Landeskirche vereinbart werden.

Was sollte Ihre Nachfolgerin, Oberkirchenrätin Dorothee Wüst, vor allem in ihrem Amt beachten?

Schad: Ich habe ihr keine Ratschläge zu erteilen. Aber mir liegt an einem reibungslosen Übergang zum Wohl unserer Kirche. Sehr unterschiedliche Personen haben dieses Amt bisher geprägt. Jetzt hat Dorothee Wüst die Chance, ganz eigene Akzente zu setzen. Ich freue mich darauf. Alles nur erdenklich Gute wünsche ich ihr und in allem Gottes reichen Segen.