Es ist ein heißer Dezembertag im Badeort Saly im westafrikanischen Senegal, 30 Grad Hitze. In der Bäckerei "Kanelle" holt die Bäckerin im blumigen Sommerkleid gerade goldene Kugeln aus einem Weihnachtsmannsack, silberne Girlanden, Strohsterne, braune Glöckchen, goldene Schleifen und Schneemänner: Es ist die Dekoration für den Plastik-Weihnachtsbaum, der den Verkaufsraum schmückt. Auch die Theke mit Kuchen und Gebäck ist bereits mit künstlichen Tannenzweigen dekoriert.
Im Café "L´Epi doré" trägt die Bedienung eine rote Weihnachtsmannmütze, auf dem staubigen und sandigen Gehweg an der Hauptstraße verkauft ein Händler Weihnachtsbäume aus Plastik und Weihnachtsschmuck in allen Farben. Am Strand trägt ein Verkäufer einen aufgeblasenen Weihnachtsmann durch die nachmittägliche Hitze. Normalerweise bietet er Schmuck, Parfüms und Schuhe sowie Badekleidung an. Doch in der Adventszeit ist die Nachfrage nach Weihnachtsartikeln und Geschenken groß in dem muslimischen Land.
Christliche Minderheit lebt in Großstädten
94 Prozent der Bevölkerung in Senegal werden nach offiziellen Angaben dem Islam zugerechnet, die Minderheit von schätzungsweise fünf Prozent Christen lebt vor allem in den Großstädten, in Dakar und Saint-Louis, wo beeindruckende Kathedralen unter Denkmalschutz stehen. Katholiken und Protestanten sind auch in der Hafenstadt Mbour, zu der der Badeort Saly gehört, anzutreffen, oder in der Casamance im Süden des Landes. Es gibt christliche Pilgerorte und Klöster im ganzen Land. Neben Islam und Christentum praktizieren viele Senegalesen zudem traditionelle Religionen, die in Zusammenhang mit der Natur stehen.
"Weihnachten geht alle an", erklärt Abbé Pierre Sandi Diouf, katholischer Bischof in der Hauptstadt Dakar. Die Geburt des Kindes Jesus, das den Menschen gleich ist, und vor allem seine Armut berühre nicht nur die Christen. "Das zeigt sich zur Weihnachtsfeier, die im Senegal über die Christenheit hinaus sehr beliebt ist." Am Heiligen Abend feiert der Bischof gleich mehrere Messen zwischen 17 und 22 Uhr. Trotz der Covid-Pandemie erwartet er auch dieses Jahr Tausende von Besuchern in seiner Kirche.
Liturgie auf Französisch, Gesang in Landessprachen
"Der Erzbischof besteht darauf, dass die Barriere-Maßnahmen in allen Kirchen respektiert werden", sagt Abbé Pierre. Maskenpflicht, Händewaschen mit alkoholischem Gel, Distanz in der Kirche und offene Türen gehörten zum Gottesdienst. Erzbischof und Imame riefen seit März immer wieder zur Einhaltung der strengen Regeln im Land auf. Die Pandemie hat im Senegal nach offiziellen Angaben nur 15.000 Menschen infiziert, etwas mehr als 300 starben.
Musik spielt bei senegalesischen Gottesdiensten eine wichtige Rolle, nicht nur zur Weihnachtszeit. Es wird neben der Liturgie auf Französisch auch in den Landessprachen gesungen: "Unsere Gesänge sind rhythmischer, wärmer und vielleicht auch geselliger", erklärt Abbé Pierre Sandi Diouf.
"Weihnachten ist ein riesiges Fest", schwärmt Mimi Moreno, eine 56jährige christliche Geschäftsfrau, die zwischen der Hauptstadt Dakar und dem 80 Kilometer entfernten Badeort Saly lebt. Gefeiert wird am Heiligabend in ihrer Villa in Saly: "Die Tafel ist voll, es gibt zu trinken und viel zu essen."
Zur Feier auch Muslime eingeladen
Die Feier beginnt erst nach der Messe, nach Mitternacht. Auch Muslime sind eingeladen. Mimi Morenos Bruder ist mit einer Muslimin verheiratet und ihre Tochter mit einem Muslim. "In fast jeder Familie gibt es beide Religionen", beobachtet Abbé Pierre: Religion sei im Senegal kein Zeichen von Unterschied, nur von Anderssein: "Wir sind verwandt und jeder respektiert die Religion des anderen."
"Wir fühlen uns nicht in der Minderheit", so empfindet es auch Mimi Moreno: "Das Weihnachtsfest ist für alle." Auf ihrem Weihnachtsbuffet stehen neben Schweinefleisch immer auch Hammel und Hähnchen für die Muslime. Macht sie Salate mit Wurst, warnt sie die muslimischen Gäste: "Ich will nicht der Mensch sein, der sie in Versuchung führt, das wäre eine Sünde."
Nach dem Essen versammelt man sich um den Weihnachtsbaum, jeder bekommt sein Geschenk. "Besonders an Weihnachten muss man teilen, selbst wenn man wenig hat," meint die Mutter von drei erwachsenen Kindern. Danach wird gefeiert bis zum Morgengrauen.
Dialog lebt auch in Schulen
Auch in vielen muslimischen Familien gibt es am Weihnachtstag gutes Essen und Geschenke. "Schon als Kind haben wir Weihnachten gefeiert", sagt der gläubige Muslim Massamba Mbenge. Der Steuerberater ist seit einem Jahr im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau erwartet er Kinder und Neffen, ein Dutzend Leute, die sich um den Weihnachtsbaum seines Hauses in Saly versammeln: "In die Messe gehen wir natürlich nicht", sagt er mit einem Schmunzeln.
Mimi Moreno ist praktizierende Katholikin. In der Adventszeit betet sie täglich am kleinen Altar in ihrem Schlafzimmer: "Während der Adventszeit mache ich gleich nach dem Aufstehen meine Lobpreisungen, rufe den Heiligen Geist an. Danach höre ich die Lesung des Tages auf Youtube." Sie schaut auch den katholischen Fernsehsender, sonntags geht sie zur Messe.
Auch in den Schulen lebt der Dialog: Die katholischen Privatschulen sind unter Muslimen gefragt. Spannungen zwischen den Religionen gebe es im Senegal nicht, behaupten die religiösen Verantwortlichen. Doch es kommt auch immer wieder zu Polemik: Als 2018 ein Imam über die Christen lästerte und sagte, sie legalisierten "Alkohol, Ehebruch, Homosexualität, Unzucht und Tanz", reichte ein Kollektiv von Christen Klage ein wegen Beleidigung.
"Mit Herz und Geist zusammen"
Als im September 2019 eine katholische Privatschule das Tragen des Schleiers verbieten wollte, rief das den Führer einer bedeutenden muslimischen Bruderschaft mit heftiger Kritik auf den Posten. Der Vatikan in Rom musste einschreiten und zur Beschwichtigung aufrufen; die Kopftuch tragenden Schülerinnen durften wieder in den Unterricht.
Aus Sicht von Abbé Pierre Sandi Diouf, der mit den Imamen seiner Diözese in engem Kontakt steht, verläuft das Zusammenleben im Alltag sehr gut: "Wir bleiben mit Herz und Geist zusammen." Die Senegalesen feiern alle Feste: Weihnachten laden die Christen ein, und am Opferfest dann die Muslime.