Oberrimbach, irgendwo zwischen Würzburg und Nürnberg. Es ist Anfang Juli, eine junge Frau trifft sich mit ihrem Ex in der Nähe eines Waldes. Sie wollen sich aussprechen, doch die Situation eskaliert. Der 27-Jährige ersticht die 23-jährige Frau mit einem Messer und tötet sich danach an einer Bahnstrecke selbst.
So beschreiben die Behörden den Tathergang dieses "Beziehungsdramas", wie es in manchen Medien heißt. Etwa jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner umgebracht. Jede vierte wird mindestens einmal in einer Partnerschaft Opfer körperlicher oder sexueller Übergriffe.
Gewalt entsteht, wo Macht bricht
Diese Gewaltakte haben Struktur, sagt Lilian Hümmler, Soziologin an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. "Allgemein ist Gewalt nicht ohne Herrschaftssysteme denkbar", sagt sie. Die Hierarchien zwischen den Geschlechtern seien über Jahrhunderte gewachsen und kulturell sowie sozial geprägt. "So entstanden verschiedene Formen der Abhängigkeit", sagt sie. Beispiele hierfür seien Frauen, die nicht entlohnte Care-Arbeit wie Haushalt, Kindererziehung oder Angehörigenpflege leisten und somit an einen Alleinernährer gebunden sind, oder auch stark hierarchisierte Arbeitsplätze, die es unmöglich machten, Gewaltvorfälle zu thematisieren.
Dauerhaft gesichert sind diese Machtstrukturen laut Hümmler nicht. "Sie müssen immer wieder durchgesetzt werden", sagt sie. Gewalt entstehe dann "an den Bruchstellen der Macht, wie Hannah Arendt sagte", wenn also Männlichkeitsbilder infrage gestellt werden. Dies sei zum Beispiel in Trennungsprozessen oder rund um die Schwangerschaft der Fall, wenn der Partner wegen des Kindes nicht mehr im Mittelpunkt steht.
Dominanzverlust bedeutet Gefahr
Gerade bei häuslicher Gewalt spiele zudem Kontrolle eine große Rolle, sagt Ksenia Meshkova vom Sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitut Göttingen zu Geschlechterfragen. Verliere der Mann in einer solchen Beziehung die Dominanz, bedeute dies eine Gefahr für die Partnerin. "Das äußert sich aber nicht immer in körperlichen Übergriffen", sagt sie. Allein der Kontrollversuch an sich sei bereits eine Form der Gewalt. "Der Partner versucht, die Frau emotional und psychisch so zu beeinflussen, dass sie ihn nie verlassen würde", sagt sie. Das gehe oftmals Hand in Hand mit sexueller Gewalt.
Zu dieser Art der Abwertung gehöre auch die Belästigung am Arbeitsplatz oder auf der Straße, sagt Meshkova. Andere Formen seien die kulturelle Gewalt, zum Beispiel Zwangsheiraten. Diese kämen zwar in westlichen Gesellschaften selten vor, dafür gebe es aber "eine ständige Objektivierung von Frauen, die wiederum Gewalt begünstigt".
Diese sei Bestandteil der sogenannten Rape Culture, sagt Soziologin Hümmler. Darunter wird ein Kontext verstanden, in dem Vergewaltigung weit verbreitet ist und sexualisierte Gewalt beispielsweise in Medien und Popkultur normalisiert wird. Geprägt sei diese Kultur zudem von Vergewaltigungsmythen, etwa dass Betroffene durch ihr Verhalten Übergriffe provozierten, sagt Hümmler.
Morde noch immer bagatellisiert
Die Vereinten Nationen prangern diese Missstände jedes Jahr am 25. November mit dem "Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen" an. "Sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen beruht auf Jahrzehnten männlicher Dominanz", sagte UN-Generalsekretär António Guterres am Gedenktag im vergangenen Jahr. Noch immer gebe es geschlechtliche Ungleichheiten, die die Rape Culture befeuerten.
Den Gedenk- und Aktionstag gibt es schon seit den 80er Jahren. Genug verändert habe sich in den letzten Jahrzehnten aber nicht, sagt Sozialwissenschaftlerin Meshkova. Noch immer würden Männer für Frauen wichtige Entscheidungen treffen, Frauenmorde würden als Familiendramen bagatellisiert. Den Handlungsbedarf zeigt insbesondere eine Zahl, sagt Meshkova: "Die Kriminalität insgesamt ist in den letzten 40, 50 Jahren zurückgegangen. Die Zahl der Frauenmorde bleibt kaum verändert.
Frauenhäuser fordern mehr Hilfe
Laut Polizeistatistik haben im vergangenen Jahr 117 Männer ihre Partnerin oder ehemalige Partnerin getötet. Das Ausmaß der Gewalt sei bereits im fünften Jahr angestiegen. 2019 seien 114.903 Frauen Opfer von Partnerschaftsgewalt geworden.
Angesichts dieser Prognosen fordern die Dachverbände der Frauenhäuser in Deutschland einen besseren Schutz für Frauen vor Gewalt. Um sogenannte Femizide, also Tötungen durch die Partner oder Ex-Partner zu verhindern, sei unter anderem eine "verlässliche, bundeseinheitliche und angemessene Finanzierung" von Frauenhäusern nötig, sagt die Geschäftsführerin des Vereins Frauenhauskoordinierung, Heike Herold.
Für Frauen und Kinder, die Schutz vor Gewalt suchen, stehen den Verbänden zufolge bundesweit rund 6.800 Frauenhausplätze zur Verfügung. Laut der von Deutschland ratifizierten internationalen Istanbul-Konvention müssten es aber rund 21.000 sein. Viele Frauenhäuser kämpften um ihre Existenz. Sie würden bislang oft nur über die individuellen Sozialleistungsansprüche von Frauen oder als freiwillige Leistungen von Kommunen finanziert.