Klosterprojekt-Teilnehmer
© epd-bild/Swen Pfoertner
Die Klosterprojekt-Teilnehmer (v. l.) Rumen Grabow, Anneke Gerken und Louis Janik stehen vor der Klosterkirche des Klosters Bursfelde.
"Einfach mal so über Gott und Glauben sprechen"
Im Kloster Bursfelde bilden junge Menschen eine Kommunität auf Zeit
Sie tragen einen grauen Umhang, Albe genannt, und sind auf der Suche - nach Gott, ihrem Glauben, ihrem Platz im Leben. Zwölf junge Erwachsene im Alter zwischen 18 und 27 lassen sich vom klösterlichen Leben der Benediktinermönche inspirieren.
13.11.2020
epd
Julia Pennigsdorf

Indian Summer im Reinhardswald. Wer über den schmalen Waldweg von Dransfeld nach Bursfelde im Landkreis Göttingen fährt, gleitet durch einen herbstlichen Tunnel in leuchtendem Orange-Rot. In dem 40-Seelen-Ort angekommen, öffnet sich der Blick auf stattliche Mauern: das evangelische Kloster Bursfelde, ehemalige Benediktinerabtei aus dem Jahr 1093. Das 300 Hektar große Klostergut mit seiner romanischen Kirche ist an diesem Wochenende fest in der Hand von zwölf jungen Menschen im Alter zwischen 18 und 27 Jahren. Sie sind aus vielen Orten Deutschlands ins Weserbergland gekommen.

Neun Monate bilden sie eine Gemeinschaft, eine ökumenische "Kommunität auf Zeit". Sie möchten Kraft schöpfen aus der Spiritualität des Klosters. Gemeinsam beten sie, schweigen, arbeiten, essen, reden, singen und lachen - geeint auf der Suche nach ihrem Glauben im Alltag. Einer von ihnen ist Rumen Grabow. Der Greifswalder zog nach seinem Abitur ins Wendland, um dort eine Bäckerlehre zu beginnen. "Ich pendelte immer nur zwischen der Arbeit und meinem Zuhause und wusste: Es fehlt etwas. Ich sehne mich danach, mit anderen über tiefere Themen zu sprechen, zum Beispiel die Frage, wie ich zu Gott stehe", erzählt der 19-Jährige. "Das Klosterprojekt kam wie gerufen."

Viermal innerhalb der neun Monate kommen die Mitglieder für jeweils drei bis sieben Tage in Bursfelde zusammen. Dazwischen halten sie über Chats, Videotelefonate und soziale Medien Kontakt. Jede Woche sendet reihum einer aus der Gruppe ein Gebet, ein Foto, einen Impuls, der dazu anregt, sich mit den anderen auszutauschen und die klösterlichen Erfahrungen in den Alltag zu integrieren.

Klaas Grensemann, Referent im Kloster, hatte die Idee für das Projekt. Der Diakon ließ sich von Justin Welby inspirieren. Der Erzbischof von Canterbury gründete 2015 in England die "Community of St. Anselm", um jungen Christen aus der ganzen Welt die Chance zu geben, in einem Kloster ein Gemeinschaftsleben auf Zeit zu erleben. Das liegt auch Grensemann am Herzen. "Kirche bietet viel für Kinder und Jugendliche und dann wieder für Familien und Ältere", sagt er, "aber zu wenig für das Alter dazwischen".

Der 49-Jährige möchte diese Lücke schließen. Und die Resonanz gibt ihm recht. Innerhalb von drei Wochen war die "Kommunität auf Zeit" ausgebucht. Louis Janik aus Hannover hat einen Platz bekommen. Der 26-Jährige studiert Theologie und Biologie und freut sich, dass er in Bursfelde praktisch das leben kann, was er im Studium lernt. "Hier bin ich kein Beobachter, hier bin ich mittendrin im Klosterleben", sagt er. Das bestätigt Grensemann. "Wir spielen hier nicht Kloster, wir sind eine echte Klostergemeinschaft."

Auch Wilko Sieberns findet den Gedanken, sich einer Gemeinschaft zu verpflichten, reizvoll. Der 25-jährige Mathe-Student aus Münster sagt: "Es gibt immer mehr Individualisierung. Jeder möchte das größte Stück vom Kuchen. Das ist hier anders. Und das tut gut." Finanziert wird das Projekt über Fördergelder des Hauses kirchlicher Dienste der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers sowie von der Heinrich-Dammann-Stiftung. Die Teilnehmer müssen einen Eigenbeitrag von 100 Euro leisten. Drei Durchgänge des Projekts sind gesichert.

Klosterprojekt Teilnehmer Lennart Luhmann bei der Gartenarbeit im Klostergarten des Klosters Bursfelde.

"Ora et labora" - Gebete und Gartenarbeit: Die Tage im Kloster sind strukturiert. Um zwölf Uhr versammeln sich alle im Innenhof zum Mittagsgebet. Unter den ausladenden Ästen einer Buche stehen sie im Kreis, in graue Alben gehüllt, die Köpfe gesenkt. Es ist still. Nur ein Brunnen plätschert leise. Dann läuten die Kirchenglocken und Klaas Grensemanns Stimme erhebt sich zum Gebet.

"Es ist toll, was passiert, wenn man diese Albe anzieht", sagt Anneke Gerken anschließend mit leuchtenden Augen, "es ist ein eindrucksvolles, irgendwie heiliges Gefühl. Man wächst ein Stück." Die 21-jährige Oldenburgerin hat bereits viele Monate einsames Onlinestudium hinter sich. Doch auch ohne Pandemie sei es nicht leicht Gesprächspartner für das zu finden, was sie bewegt. "Mit meinen Freunden kann ich jedenfalls nicht einfach mal so über Gott und Glauben sprechen."

Kommunitäten und Klöster sind nach den Erfahrungen des braunschweigischen Landesbischofs Christoph Meyns besondere Orte. Sie seien Schulen der Achtsamkeit, des Gebetes und der Liturgie, sagt Meyns, der auch Beauftragter für den Kontakt zu den Klöstern und Kommunitäten in der Evangelischen Kirche in Deutschland ist. Sie leisteten Widerstand gegen einen Zeitgeist der Kopflastigkeit und Selbstüberforderung, des Machbarkeitswahn und Leistungsdrucks.

Nach dem Mittagsgebet, die grauen Alben sind ausgezogen, versammeln sich alle im Speisesaal. Stille und Nachdenklichkeit sind fröhlichem Gelächter und Small Talk gewichen. In Jeans und Sweatshirt stehen Wilko, Anneke, Rumen und all die anderen am Büfett und füllen sich ihre Teller mit dampfenden Tortellini. Am Tisch geht es um die gleichen Themen wie in der Uni-Mensa: um Corona, um die Vor- und Nachteile von Onlinevorlesungen und um die vielleicht wichtigste Frage: Ist das RTL-Dschungelcamp jetzt eigentlich abgesagt? Keiner weiß es so genau, aber alle diskutieren, scherzen, lachen.

Klaas Grensemann ist zufrieden. Über sein Klosterprojekt sagt er: "Hier geht es um die Themen, die die Teilnehmer bewegen. Jeder darf sich so einbringen, wie er ist."