"Gib mir ein kleines bisschen Sicherheit, in einer Welt, in der nichts sicher scheint", bat die Band "Silbermond" schon vor einigen Jahren in ihrem Lied "Irgendwas bleibt". Die Musiker sehnten sich nach Entschleunigung, Beständigkeit und Verlässlichkeit in einer hektischer werdenden Welt. Diesen Wunsch teilen sie mit vielen Menschen. Als ein Weg, um zur Ruhe zu kommen, gilt der Klosterurlaub. Er ist Teil des immer beliebter werdenden "Slow-Tourism"-Phänomens, bei dem es um ein nachhaltiges, sinnhaftes und authentisches Reiseerlebnis geht.
Klöster erfüllen da laut Aline Sommer, die eine Website zum Thema spirituellem Tourismus betreibt und zu dem Thema geforscht hat, eine wichtige Bedingung, weil sie für etwas stehen, was in der heutigen Zeit immer mehr verloren zu gehen scheint: Wahrhaftigkeit und Beständigkeit. Klöster verbinde man zum Beispiel mit den Begriffen abgeschieden, glaubwürdig, traditionell und natürlich. Es seien Felsen in der Brandung der Schnelllebigkeit und Hektik, die den Alltag bestimmen. "Klöster bestehen durch ihre althergebrachten Traditionen, nicht dadurch, dass sie jede Mode mitmachen", schreibt Sommer auf ihrem Portal und führt weiter aus, dass Klöster keine Trendorte seien, sondern eher das genaue Gegenteil. "Sie sind nicht dadurch interessant, weil sie etwas "Neues" sind, sondern weil sie nichts "Neues" sind."
In der Studie "Sinnstiftung in der Krise – Das neu erwachte Interesse an Klöstern" von Patricia Schulte-Moser und Christoph B. Melchers vom Institut für Markt- und Kulturforschung "ZweiEinheit" wird das Image von Klöstern und Klosterurlauben ebenfalls auf den Punkt gebracht: "Klosterbesuche sind ein Ticket für die Arche Noah: Die alte Lebensform wird zum viel versprechenden Kontrast zu einer Zeit, die aus den Fugen geraten ist."
Das erklärt, weshalb die Nachfrage nach Angeboten zum Klosterurlaub laut Karl-Heinz Jaworski, dem Fachbereichsleiter "Kirche in Freizeit und Tourismus" der württembergischen Landeskirche, in den vergangenen Jahren gestiegen ist. Großes Interesse beobachtet auch Marion Römer, die in der hannoverschen Landeskirche die 15 Klöster und Stifte im Bereich der Klosterkammer Hannover begleitet. "Das Kloster ist ein Sehnsuchtsort, ein Anderort", sagt Römer. Der Grund für die "Faszination Kloster": "Dort gibt es eine Gemeinschaft, die etwas lebt, was wir in unserem schnelllebigen Alltag oft nicht schaffen, uns aber wünschen: leben in einem guten Rhythmus von arbeiten und ruhen, gut aufeinander achten."
Mit Versprechen vom Innehalten, Atem holen, von erholsamen Tage der Stille, einer Auszeit für die Seele, Zeit für‘s Ich oder eine Oase der Ruhe werben einige Klöster, Stifte und Konvente um Gäste. Sie haben die Sehnsucht der Menschen nach einer Ganzheit von Körper, Geist und Seele erkannt. Doch von Klostertourismus möchten die meisten lieber nicht sprechen. "Tourismus assoziiert man mit Menschenmassen und die würden die klösterliche Ruhe stören", sagt Jaworski. In größeren, kommerzialisierten Klöstern ginge es, weil die Besucher und die Bewohner weitgehend voneinander getrennt seien. In kleineren Gemeinschaften könne klassischer Tourismus nicht funktionieren, weil er das klösterliche Leben der Gemeinschaft zerstöre. "Dort lebt man schließlich wie in einer Familie mit, man erlebt die Spannung zwischen den Menschen und ist so viel mehr als nur irgendein Gast", erklärt Jaworski. Er habe es auch schon erlebt, dass eine Frau, die im Kloster den Tod ihres Vaters aufarbeiten wollte, viel Beistand und gute Ratschläge erfahren habe.
Diese viel persönlichere Gast-Gastgeber-Kultur ist Aline Sommer zufolge vielen Klosterurlaubern deutlich wichtiger als die reine Unterbringungsleistung. Gespräche zwischen den Gästen des Klosters und den Bewohnern seien nicht nur ein gewünschtes Element der Reise, sondern "ein wichtiges Kriterium für die Güte eines solchen Aufenthaltes". Erwartet ein Reisender in seinem Klosterurlaub eine tiefe, persönliche Kommunikation, sollte er das aber bereits vorher bei der Auswahl seines Ziels bedenken: Nicht in jedem Kloster sind Gespräche und Seelsorge für alle Gäste selbstverständlich, in vielen Fällen muss man sich dafür anmelden.
Der Studie von Schulte-Moser und Melchers zufolge wollen Klosterurlauber ihre gewohnte Lebenswelt mit der Klosterwelt vertauschen und einmal nach ganz anderen Prinzipien leben. Das, was man sonst für kurze Zeit beim Lesen eines Buches oder im Kino erlebt – nämlich das Eintauchen in eine andere Welt – soll beim Klosterurlaub Realität werden. "Im Kloster wird eine Welt erwartet, die nicht den Themen folgt, die unser modernes Leben bestimmen", schreiben Schulte-Moser und Melchers, deren Erkenntnisse auf 35 Tiefeninterviews mit unterschiedlichen Klosterurlaubern beruhen. Sie urteilen, dass die "alternative Lebensform als Ganzes" anziehend auf die Besucher wirkt.
Karl-Heinz Jaworski hat schon einige Klostererfahrungen gemacht und schätzt es sehr, in die Gemeinschaft einzutauchen und nach einem festen Rhythmus zu leben. "Ich muss nichts organisieren, es wird für mich gesorgt und so habe ich Zeit zum Nachdenken", schwärmt er. Natürlich sei er auch froh, wenn er wieder in seinen Alltag zurückkehre, aber dieser konservative, alte Rhythmus sei in seiner Sicherheit und Verlässlichkeit faszinierend und deswegen könne er die Sehnsucht vieler Menschen danach nachvollziehen.
Wie schwierig der Balance-Akt zwischen Ursprünglichkeit und Moderne, zwischen Authentizität und Attraktivität für die Klöster, Stifte und Konvente sei, betont Marion Römer. Man wolle schließlich den klösterlichen Charme und geistlichen Charakter beibehalten, der die Ausstrahlung des Klosters ausmacht, aber gleichzeitig auch ein wirkliches Zuhause für die Menschen schaffen, die dort leben, so dass sie sich nicht wie in einem Museum vorkommen. "In den evangelischen Frauenklöstern gibt keine Trennung zwischen präsentieren und Zuhause. Die Menschen, die dort leben, laden sozusagen ständig in ihr Zuhause ein."
Für einige Klöster, Stifte und Konvente ist eine Öffnung für Besucher manchmal aber auch wirtschaftlich gesehen der letzte Rettungsring, um den Ort vor der Schließung zu bewahren. Gerade dann, wenn sie sich ohne zusätzliche Unterstützung erhalten müssen. "Das Überleben hängt aber nicht nur an wirtschaftlichen Faktoren", sagt Jaworski, der einige Klöster kennt, bei denen sich der Aufwand und Ertrag zum Anbieten eines Klosterurlaubs die Waage halten. "Viele Klöster sehen die Öffnung auch als neue Form, ihr Selbstverständnis zu leben, sich neue Relevanz zu erobern und so in die Gesellschaft hineinzuwirken."
Es ist außerdem eine Chance im Sinne eines Bildungsauftrags, etwas vom christlichen Glauben zu vermitteln. Es sei, so Marion Römer, natürlich im Interesse der Klöster, dass Menschen kommen und sich für ihre kulturellen Wurzeln interessieren. Es ist auch eine Möglichkeit für den Glauben, wenn bei einer Führung und der Begegnung mit einer dort lebenden Frau etwas vom Leben auf christlicher Grundlage durchscheint. Dadurch könne man Ausstrahlung auf die Gesellschaft haben. Mit unterschiedlichen Angeboten wie zum Beispiel der Reihe "mahl anders – begegnen genießen-hören" werden Menschen in die Klöster und Stifte eingeladen, um diese kennenzulernen.
Die Bandbreite der Angebote für Klosterurlaube ist beachtlich: von Einkehrtagen und Schweigewochen bis zu Aufenthalten in Hotel-Klöstern mit mehreren Sternen und einem umfassenden Wellness-Angebot ist heutzutage alles möglich. Ebenso groß ist auch die Preisspanne für die Aufenthalte: manche verlangen nur eine Spende und man muss die Bettwäsche selbst mitbringen, bei anderen bezahlt man 100 Euro pro Nacht und hat ein rundum-sorglos-Paket. "Bei einem drei-Sterne-Angebot ist zum Beispiel ein Fernseher auf dem Zimmer Pflicht, aber das gehört für mich nicht zum klassischen Klosterurlaub", so Karl-Heinz Jaworski. Das sei eher ein Urlaub in einem Hotel in alten Gemäuern. Das sieht auch Marion Römer so. Es mache einen Unterschied, "ob man an einem geistlichen Ort ist, an dem Menschen seit Jahrhunderten leben und beten, oder ob man ein ehemaliges Klostergebäude hat, das zwar die Historie hat, aber nicht mehr von einer christlichen Gemeinschaft belebt wird".
Deswegen empfehlen Römer und Jaworski, das Interessenten sich vor einem Klosterurlaub sehr genau überlegen, was sie wollen. Und dann recherchieren, welches Kloster ihnen das bietet. Informationen darüber findet man beispielsweise in einschlägigen Büchern (z.B. den "Klosterurlaubsführer" von Hanspeter Oschwald), in den Infobroschüren der Landeskirchen (z.B. "Innehalten: Urlaub für die Seele in Klöstern und Einkehrhäusern" von der württembergischen Landeskirche), auf deren Internetseiten oder auch auf der Seite evangelischer Kommunitäten und geistlicher Gemeinschaften im deutschsprachigen Raum.
Außerdem sollten Interessenten ihre Erwartungshaltung und Vorurteile überprüfen. "Zu den Vorurteilen gegen Klöster zählen insbesondere antiklerikale Ressentiments, etwaige Religionsfeindlichkeit oder das aufgeklärte Ressentiment gegen Spirituelles", schreiben Schulte-Moser und Melchers. Auch Vorurteile über Mönche und Nonnen spuken noch in einigen Köpfen herum. Viele Urlauber würden gar ein Kloster besuchen "in der Erwartung, gewissermaßen auf einem anderen Stern zu landen". Dem ist natürlich nicht so. In den meisten evangelischen Frauenklöstern, die Marion Römer betreut, trifft man noch nicht einmal Nonnen in Tracht, sondern Frauen in ganz normaler Kleidung. Viele sind Witwen oder geschieden, haben Familie und keine Gelübde abgelegt. "Die Frauen leben dort auch nicht in Zellen, sondern in eigenen Wohnungen. Sie essen auch nicht unbedingt alle zusammen. Das gibt es zwar noch, aber nicht überall", so Römer. Gleiches gilt für den strengen Tagesablauf aus Arbeiten, Beten und Schweigen. Das gibt es natürlich, aber nicht jedes Kloster handhabt es so. "Kloster ist eben nicht gleich Kloster."
Am besten fährt man Karl-Heinz Jaworski zufolge erstmal einen Tag in das Kloster, in dem man Urlaub machen möchte, und sieht sich alles an – sofern es nicht zu weit weg ist. Oder wenn das nicht möglich ist, ruft man im Kloster an und spricht mit den Menschen. So bekommt man ein gutes Bild davon, was einen im Klosterurlaub erwartet "Eine der wichtigsten Fragen, die man sich vorher stellen sollte, lautet: Halte ich das aus?", so Jaworski. "Stille kann unglaublich anstrengend. Nicht jeder packt das. Kein Handy zu haben und nicht erreichbar zu sein, dafür muss man bereit sein." Häufig wird die Zeit im Kloster genutzt, um Abstand zu gewinnen, neue Perspektiven zu finden, wichtige Entscheidungen zu treffen und Erlebnisse aufzuarbeiten. Die Menschen begegnen sich selbst. Und manchmal eben auch Gott.
Dieser Artikel erschien erstmals am 20. August 2018 auf evangelisch.de.