epd: Herr Mucks-Büker, wo und in welchem Zusammenhang steht der Satz "Wer sein Kind liebt, der züchtigt es" überhaupt?
Detlef Mucks-Büker: Wörtlich steht dieser Satz so nicht in der Bibel. In den Sprüchen Salomos im Kapitel 13, Vers 24 heißt es nach Martin Luthers Übersetzung: "Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn; wer ihn lieb hat, der züchtigt ihn beizeiten." Das Buch der Sprüche gehört zur Gattung der jüdischen Weisheitsliteratur aus dem dritten bis vierten Jahrhundert vor Christus. Es ist eine Sammlung von damaligen Sprichwortweisheiten. Neuere Textforschungen zeigen auf, dass einzelne Begriffe anders übersetzt werden. So heißt es bei Martin Buber und Franz Rosenzweig im frühen 20. Jahrhundert "Stecken" und nicht "Rute" wie bei Luther. Das weist auf eine Bedeutung von "Hirtenstab" hin und vermittelt das Bild des Leitens und Anleitens. Die innere Verbindung zur Prügelstrafe entsteht daher in unseren Köpfen.
Waren Schläge damals, als der Satz geschrieben wurde, ein probates Mittel der Erziehung?
Mucks-Büker: Die körperliche Unterlegenheit von Kindern, ihre Abhängigkeit von Zuwendung und Fürsorge wurde in früheren Epochen lange als Schwäche ausgelegt. Das Ziel war, sie in einer lebensbedrohenden Umwelt überlebensfähig zu machen. Dies meinte man, mit Mitteln der Härte und Gewalt zu erreichen. Obwohl die Akzeptanz von Schlägen oder psychischer Gewalt gegen Kinder heute zurückgeht, befindet sich die Anzahl der Kindesmisshandlungen auch in unserer Gesellschaft leider immer noch auf sehr hohem Niveau.
Und heute? Rechtfertigt der Satz die Prügelstrafe?
Mucks-Büker: Auf gar keinen Fall. Leider haben diese und ähnlich gelagerte Aussagen der Bibel lange zur Legitimation von Gewalt nicht nur in der Erziehung herhalten müssen. Wer dies auch heute noch versucht, lässt Erkenntnisse außer Acht, die auf vielen Feldern moderner Wissenschaften wie der Pädagogik, der Kinder- und Jugendpsychiatrie und der Entwicklungspsychologie gewonnen wurden. Jesus versieht das Kind mit ganz besonderem Segen und Aufmerksamkeit, wenn er sagt: "Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn solchen gehört das Reich Gottes". Was doch nichts anderes heißt als: Kinder stehen unter Gottes besonderem Schutz. Das haben Erwachsene zu respektieren. Aussagen wie diese stellen eine angemessene biblische Grundlage dar, auf die ein kindgerechtes und vor allem gewaltloses Erziehungsverständnis Bezug nehmen sollte.