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Der Brandenburger Innenminister Michael Stübgen ist CDU-Parteimitglied und war früher Pfarrer.
"Man kann einen Staat nicht mit der Bergpredigt führen"
Der Brandenburger Innenminister und ehemalige Pfarrer Michael Stübgen (CDU) im Interview
Die CDU wird in diesem Jahr 75 Jahre alt. Seit 1990 ist der Brandenburger Innenminister Michael Stübgen Parteimitglied. Vor seiner politischen Karriere war er Pfarrer in der DDR. Mit dem Evangelischen Pressedienst sprach Stübgen darüber, was heute das "C" in seiner Partei ausmacht, wie es sich auf die Flüchtlingspolitik auswirkt und warum man nach seiner Auffassung mit der Bergpredigt keinen Staat führen kann.  
15.10.2020
epd
Corinna Buschow und Jens Büttner

Die Christlich Demokratische Union wird in diesem Jahr 75 Jahre alt. Was ist an der CDU christlicher als an anderen Parteien?

Michael Stübgen: Erst einmal muss man in die Gründungsgeschichte schauen: Es war 1945 eine weise Idee, das Christliche zu betonen, nachdem in der Weimarer Republik die unterschiedlichen Konfessionen eigene Parteien hatten. Die CDU orientiert sich von Beginn an am christlichen Menschenbild. Dieses Fundament hat sich bewährt auch mit Voranschreiten der Säkularisierung. In anderen europäischen Ländern gibt es übrigens fast keine konfessionsübergreifenden christlichen Parteien, sondern eher Volksparteien. Ich finde es gut, dass wir es in Deutschland geschafft haben, Volkspartei zu sein und das "C" zu behalten.

Welche Rolle spielt für Sie persönlich der Glaube in der Politik?

Stübgen: Ich bin sehr geprägt von Luthers Zwei-Reiche-Lehre. Man kann einen Staat nicht führen mit der Bergpredigt - im Übrigen auch keine Kirche. Staatliche Gewalt muss sich, soweit es geht, am christlichen Menschenbild und an christlichen Werten orientieren. Aber zur staatlichen Lenkung gehören eben auch das Gewaltmonopol, die Bekämpfung von Gewalt und die Durchsetzung bestimmter Interessen. In diesem Spannungsfeld befindet sich jeder Politiker, der Christ ist. Ich habe mir als Christ seit meinem Einzug in den Bundestag 1990 vorgenommen, mich niemals zu enthalten. Ich denke, als gewählter Volksvertreter muss man sich entscheiden - ja oder nein. Ein Satz aus der Bergpredigt ist für mich damit durchaus eine Maxime: "Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein." Im Einzelfall ist das natürlich nicht immer ganz leicht. 

Manche meinen, insbesondere in der Flüchtlingspolitik sind die C-Parteien am unbarmherzigsten. Trifft Sie dieser Vorwurf?

Stübgen: Der barmherzige Samariter in der Bibel hat geholfen - im Rahmen seiner Möglichkeiten. Genauso sehe ich unsere Aufgabe, was Migration und Flüchtlinge betrifft. Wir helfen dort, wo wir können - im Rahmen unserer Möglichkeiten. Brandenburg etwa setzt sich seit langem für die Aufnahme unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge ein. Wir haben bis zu 100 Plätze für unbegleitete und kranke Kinder aus Griechenland angemeldet. Das können unsere Landkreise leisten. Wir waren das erste Bundesland, das Hilfsmittel nach Griechenland geschickt hat. Und wir werden uns an dem jetzigen Programm zur Aufnahme von 1.500 anerkannten Flüchtlingen aus Griechenland beteiligen.

Einzelne Bundesländer wollen mehr helfen, als es Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) vorsieht. Finden Sie das richtig?

Stübgen: Es geht darum, dass der Bund den Außenvertretungsanspruch hat, nicht die Bundesländer. Wir haben gar nicht die Strukturen dafür. Die Bundesregierung bemüht sich darum, dass wir ein gemeinsames Asylsystem in Europa bekommen. Es ist völlig ausgeschlossen, dass das einzelne Bundesländer allein können.

Hält Brandenburg dennoch an seinen Plänen für Programme zur Aufnahme syrischer Flüchtlinge und dem Kontingent für verfolgte Christinnen und Christen fest, wie im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und CDU festgeschrieben? Es ging um insgesamt 200 Plätze pro Jahr.

"Die Erfolgsaussichten für Landesprogramme sind wegen der Komplexität nicht sehr groß."

Stübgen: Das aufzubauen ist eine enorme Herausforderung. Es gibt so ein Programm weder auf Bundes- noch auf europäischer Ebene. Auch das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) hält sich hier komplett zurück. Es gab ein Vorbild in der vergangenen Legislaturperiode, als insbesondere Jesidinnen und Jesiden in Brandenburg aufgenommen wurden. Dabei hat sich gezeigt, dass das mit unseren Kapazitäten sehr schwierig zu organisieren ist. Die Erfolgsaussichten für Landesprogramme sind wegen der Komplexität nicht sehr groß. Aber wir werden das in Brandenburg über das Integrationsministerium trotzdem machen, zusätzlich zum normalen Resettlement und den üblichen Verteilquoten. Ich gehe davon aus, dass wir ab nächstem Jahr dazu in der Lage sind.

"Menschen werden verfolgt, weil sie Christen sind", sagt Michael Stübgen (CDU). "Denen wollen wir helfen."

Warum sollen insbesondere Christinnen und Christen aufgenommen werden und wie laufen die Gespräche mit den Kirchen dazu?

Stübgen: Es gibt in manchen Regionen uralte christliche Kirchen, die in besonderer Weise durch politische Entwicklungen bedroht sind, gejagt und vertrieben werden. Für mich ist es ein wichtiges Anliegen zu schauen, wo wir dort helfen können. Das betrifft etwa Länder wie Syrien oder auch Ägypten. Es geht nicht darum, dass wir bestimmte Gruppen bevorzugen, sondern darum, dass Menschen in dieser Welt verfolgt werden, weil sie Christen sind. Denen wollen wir helfen, weil wir uns in unserer Verfassung auf unsere christlichen Grundwerte beziehen. Ich habe dazu kritische Äußerungen der Kirchen vernommen. Das habe ich nicht verstanden und sie erscheinen mir schwer nachvollziehbar. Hier hätte ich eine andere Haltung der Kirchen erwartet. 

Wie wichtig sind die Kirchen für Sie als Gesprächspartner im stark säkularen Brandenburg?

Stübgen: Ich halte die Kirchen nach wie vor für sehr wichtig und bedauere, dass die Säkularisierung vor allem in Ostdeutschland so weit fortgeschritten ist. Allerdings sieht man auch, dass die Kirchen sich stark umstrukturieren müssen, weil der Mitgliederschwund weiter geht. Das wird für die Kirchen schwierig in den nächsten Jahren. Diesem Prozess sind aber nicht nur die christlichen Kirchen ausgesetzt. Auch die politischen Parteien verzeichnen ein abnehmendes Bindungsinteresse der Menschen.  

Wird sich eine schwächere Kirche in Brandenburg bemerkbar machen? 

Stübgen: Insbesondere im ländlichen Raum, in kleinen Gemeinden und Kleinstädten sind die kirchlich Engagierten auch diejenigen, die bei der Feuerwehr und allen möglichen anderen ehrenamtlichen Organisationsstrukturen aktiv sind. Ich würde es schon begrüßen, wenn diese Struktur erhalten bleibt.

Der Brandenburger Innenminister Michael Stübgen (CDU) vergleicht die Digitalisierung mit der Erfindung des Buchdrucks.

Im Sommer sind wegen der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie Zehntausende Menschen auf die Straße gegangen. Legitime Kritik war da zu hören neben Verschwörungstheorien und rechtsextremistischen Parolen. Wie ist Ihre Auffassung: Müssen Politik oder auch Kirchen mit den Demonstranten reden oder besser ignorieren?

"Einfache politische Mittel, um gegen diese Blasen anzukommen, gibt es nicht."

Stübgen: Natürlich muss Politik mit den Menschen reden - und Kirche auch. Durch die Vernetzung in sozialen Medien ist das aber gar nicht so leicht. Die digitalen Plattformen funktionieren so, dass man je nach Interesse immer mehr abgeschottet wird von anderen Themen oder Meinungen. Einfache politische Mittel, um gegen diese Blasen anzukommen, gibt es nicht. 

Das heißt, der Dialog ist gar nicht mehr möglich?

Stübgen: Es ist längst kein Dialog mehr. Ich vergleiche die Bedeutung der Digitalisierung mit der Erfindung des Buchdrucks. Vor 500 Jahren konnte auf einmal quasi jedermann kleine Heftchen drucken und die Gesellschaft hat das aufgesogen. Das Ergebnis war die Aufklärung, die wir heute als positiv ansehen. Aber 100 Jahre davor hat dieser Prozess ganz Europa durcheinandergewirbelt und das nicht nur zum Guten. In solch einer Phase sind wir jetzt. Im Moment haben wir die Lage, dass jeder Spinner Friends und Likes für abstruseste Ideen findet und damit eine Breitenwirkung erzielen kann. So geschah das auch bei den Bauernkriegen - Fake News würden wir das heute nennen. Dennoch behalte ich die Hoffung, dass wir die Digitalisierung irgendwann rückblickend als große, gute Entwicklung ansehen werden.